Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

Drganifatirn ist, steht gufzer Zweifel. Er stellt eigene Kandi⸗ 
daten auf; auch Dr. Rösicke bezeichnet sich als „Wildkonservativ 
und Bund der Landwirte“. Mit der gleichen Sorglosigkeit mög 
die Regierung unsere, Jugendorganisationen und die Gewerk 
chaften ansehen. Wir stĩimmen den Anträgen der Frei 
inunigen zu, Unser Antrag auf Verwendung der Üeber— 
chiisse zu sozialpolitischen Zwecken sollte angenommen werden, 
a es wichtiger ist, den notleidenden Zündholz- und Tabak— 
arbeitern die Ueherschüsse zukommen zu lassen als den wirtschaft⸗ 
liehen Organisationen und den kapitalistischen Unternehmern. 
andre Weise läßt sich dieser Schmiergelder- und Korruptions— 
fonds nicht aus der Welt schaffen. Redner geht sodann ausführ⸗ 
tich, auf die Arbeiterverhältnisse in den Kaliwerken ein; er 
schließt: Die Kalischätze gehören der Nation, und sie ihr zu er⸗ 
ten. ist unsere VPflicht als Polksvertreter. (Beifall bei den 
Zoz. 
Unterstaatssekretär Dr. Richter: Die Festsetzung der Rabatt⸗ 
rätze ist bisher weder für das Inland noch für das Ausland, er⸗ 
jolnt. Es versteht sich von selbst, daß der Bundesrat sie so fest⸗ 
setzen wird, daß sie allen Organisationen gleichmäßig zugute kom— 
men. Was die Bemängelung der Etatsspezialisierung und die 
Verweisung des Vorredners auf die Erfahrungen des Kalisyn- 
dikts betrifft, so decken sich doch die Aufgaben, die hier die Re⸗— 
gierung und der Reichskanzler zu erfüllen haben, mit den Auf—⸗ 
gaben, die das Kalisyndikat bisher gehabt hat. Hätten wir uns 
an das Kalisyndikat gewandt, so wäre der erste, der das gemiß— 
billint hätte, der Vorredner gewesen, der ja eben den Wunsch 
aussprach, wir sollten nicht so verfahren wie das Kalisyndikat, 
Die Absicht, sämtliche Gelder dem Kalifyndikat zu überweisen, hat 
absolut nicht bestanden. Der Vorredner hat übersehen, daß ich in 
meiner Erklärung in der Budgetkommission ausdrücklich festge— 
ttellt habe, es versteht sich von selbst, daß der Reichskanzler nicht 
ohne weiteres die Gelder dem Kalisyndikat zur Verfügung stellen 
wird, sondern sich die Verteilung und die Kontrolle durch die Be— 
hörden vorbehält. Die Reichsregierung ist sich also ihrer Ver—⸗ 
zntwortung bei der Verwaltung dieser Gelder voll bewußt. Was 
die Behauptung anbetrifft, es bezögen setzt dieselben landwirt⸗ 
schaftlichen Verbände das Geld, die früher die Prwision er— 
halten hätten, so hat ja die Regierung die Gelder noch gar nicht 
berausgabt. Das geschieht erst, wenn die Grundsätze festgestellt 
ind. Selbstverständlich, werden diese der Regierung dann auch 
als Richtschnur dienen für die Verteilung der bisher eingegan— 
zenen Gelder. Ich habe bereits vorhin betont, daß eine wirt⸗ 
same Kontrolle stattfinden soll, ob die Gelder auch wirklich für 
Propagandazwecke aufgewendet werden. Jeder Verband foll 
Helder zugewiesen erhalten, der wirklich Propaganda betreibt, 
nicht etwa etwa nur die größeren Verbände. Was meine Be— 
merkung über die Schwierigkeit, zu entscheiden, welcher Verein 
oolitisch ist, angeht, so habe ich nux betont, daß heutzutage, wo die 
Sozialpolitik, die Wirtschaftspolitik in alle Verhältnifse des 
Lebens tief eingreift, guch rein wirtschaftliche Vereinigungen hier 
und da eine politische Tendenz betätigen. Badurch, daß der Vor— 
redner die Jugendorganisationen und die Gewerkschaften für nicht 
politisch erklärte, hat er selbst gezeigt, wie verschieden die Mei— 
nungen sind. Besm Vereinsgesetz wird unterschieden zwischen 
Vereinen und politischen Vereinen. Hier allein ist festgestellt, daß 
das Geld für Propagandazwecke ufgewendet werden muß 
Hierauf tritt Vertagung ein. 
Schluß 87 Uhr. 
Nächste Sitzung Mittwoch,2 Uhr. Fortsetzung der heutigen 
Bevatung, zweite Lesung des Kolonialetats 
PreuBischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
54. Sitzung. 
Berlin, den 21. März. 
Am Ministertisch: Sydow. 
Präsident v. Kröcher eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 18 Min. 
Zunächst wird anstelle des früheren Aöqg. Kreitling Abg. Aroen- 
d de Vorchhr Vpt.) zum Miitglied der Staatsschüldenkommission 
ewählt. * 
Es fsolat die Fortsetzung der Beratung des 
Bergetats 
zeim Kapitel „Bergwerk“. 
Abg. Spinzig (freikons.!; Es ist zu wünschen, daß ein Ver— 
rauensverhältnis zwischen Beamten und Arbeitern herrscht. Den 
gestrigen Bemerkungen des Abg. AhrensKlein⸗-Flöth über die Ab⸗ 
vässerfrage stimme ich zu. 
Abg. Dr. Maurer (natl.) hält es nicht für richtig, daß die Steiger 
eawungen werden, aus ihrer Organisation auszutreten. 
Die Ausgahen für Beamtengehälter werden bewiligt. 
Die Debatte über die Ausgaben flir Materialien und Geräte, 
Frweiterungsbauten, Unterhaltung fürBetriebsamagen usw. wird 
berbunden mit der zweiten Beratung des Gefetzeniwurfs beir. An— 
eihe zur Erweiterung derAnlagen der Bergverwaltung. In diesem 
Entwurf werden JMill. A als Anleihe zur Exrichtung einer Kali⸗ 
Doppelschachtanlage bei Klein⸗-Bodungen in Hannover? sowie zur 
Einrichtung cines Tagbaues für den Vernsteinabbau zu Palmnicken 
n Ostpreußen gefordert. Die Mittel zur Errichtimg einer Doppel⸗ 
chachtanlage bei Knuro in Oberschlesien sollen im Betrage von 
»5 Millionen guf den Etat übernommen werden. 
Abg. v. Pappenheim (kons.): Um die Etatsberatung nicht zu 
nerschleppen, haben wir in der Generaldehalte aufs Wort verglchtet 
Pir wünschen, daß der Etat ein klares Bild von der Bergverwaltung 
zibt. Dem Gesetzentwurf werden wir zustimmen. 
Abg. Roeren (Zentr); Durch solche verhetzende Uebertreibungen, 
vie wir fle gestern vom Abg. Hoffmann gehört haben, wird nur die 
Erfüllung der berechtigten Anspruͤche der Ärbeiter erschwert, Wir 
reten für die berechtigten Forderungen der Arbeiter nach Lohn⸗ 
trhöhung, insbesondere im Sgarrevier, ein. Ddie Arbeitszei muß ab⸗ 
gekürzt und die Krankenversicherung für die Familienangehörigen 
der Arbeiter geregelt werden. Grohe Unzufriedenheit und Verbine 
sung erregt es, daß auch im Ruhrrehler, die Lönhne in den fiskali⸗ 
schen Vetrieben niedriger sind als in Privalbeirieben. Vor allem 
aber sind die Arbeiterverhälinisse an der Saar anf das dringendste 
der Verbesserung bedürftig. vse 
Abq. Dr. Glattfelter (Hentr.): Den Darlegungen des Vorred 
ers über die Saararbelter schließe ich mich an. Was die Förderung 
der Wohlfahrtszwecke betrifft, so wäre es sehr wünschensweri, wenn 
die Bergwerksverwaltung Ländereien erwerben würde zu dem Zweck 
den Arbeitern ein Stück Land zur Ansledlungzů überweisen. 
Abg. Dr. Maurer (natl.): Mit Bedauern haben wir die gestrige 
EErklärung des Ministers gehört, dah an eine Lohnerhöhnug an der 
kaar kaum zu denken sei. Wir bedauern das um so inehr weil die 
2öhnme seit 1908 zurückgegangen sind. 
Abg. Imbusch (Zenir) kritt ebenfalls fiir Lohnerhöhungen 
m Saarrevier ein. 
Abg. v. Schnbert (natlib.) hofft, daß der Minister die hier 
yorgetragenen Wünsche wohlwollend prüfen werde. 
Hierauf wird der Gesetzentwurf in zweiter und ohne Debatte 
n dritter Lesung in der Kommisflonsfaffung angenommen. Die 
Werbindemin mit dem Geset beratenen Eiatstitel werden ve— 
willigt. 
Das Kapitel Berawerke wird bewilligt. J — 
Phue Debatte werden bewilligt die Kapitel Hütten, Sasg⸗ 
werle sowie eine Reihe weiterer Kapitel. 
Beim Kapite! Aberbergämter klagt 
Abg. Brust (Zentr.) über die Ueberlastung der Steiger. dI 
Beim Kapitel Geologische Landesanftalt in Berlin weist 
Abg. Weissermel (kons) auf die zunehmende Bedeutung 
dieses Juftituts hin. Zur Hebung des Linsehens diefer Auftau 
virde es beitragen, wenn deren Beamten in eine höhere Rang— 
lasse versetzt würden. J 
Beim Kapitel Verschiedene Verwaltunas- und Betriebsaus— 
zaben begründet 
Abg. Spinzig (reikons.) eine von der Kommission einstimmig 
ngenommene Resolution, nach welcher der in diesem Kapitel zur 
Interstützung für ausgeschiedene Beamte sowie für Witwen und 
Waisen von Beamten II Betrog von 120000 .A vom 
nächstiährigen Etat dem Bedürfnis entsprechend erhöht werden 
loll, um den Iunvaliden und ihren Hinterbliebenen aus staat⸗ 
irhen Berg- und Hüttenbetrieben, deren Inropeuddponte vor 
dem 1. Januar 1908 festgesetzt worden ist, eine Unterstützung zu 
gewähreu. 
Die Resolution wird angenommen. Der Rest des Bero— 
Anats wird ohne Dohatite ersediat 
Es folgt die zweite Beraktung des 
Etals der Zentralgenoffenschaftskaffe. F 
Abg. Meyenschein (tons)e Eine grotze Anzahl von Ge— 
iossenfchafien steht in geschäftlicher Verbindung wit der — 
enossenschaftskafse, die in erster Linie das Ziel verfolg. die 
des Nittelstandes zu fördern. Auffallend ist eine 
Notiz in der Berliner Korrespondenz, wonach das Verhältnis 
wischen der Zentralgenossenschaftskasse und der landwirtschaft⸗ 
ichen hentraldelehnetasste geleft worden sei. 
unterstaatsfetretar Michaelis: Es ist, richtig, daß die 
Preußenkaffe ihre Geichaftsverhindung mit, der Zentraldarlehns 
saffe delöft haf aus dem Grunde, weil diese in Verbindung mit 
der Reichsgenossenschaftsbank geireten war. Denn es ist un⸗ 
denkbar, daß eine Genossenschaft mit denselben Haftverpflichtun⸗ 
sen miß zwei Banken in Verbindung bleibt. Inzwischen wurde 
ie, Verbindung zwischen der Zentraldarlehnskasse, und der 
keichsgenossenschafisbank wieder abgebrochen. Deshalb ist die 
Preuͤßenkasse bereit, mit der Zentraldarlehuskasse in Verhand⸗ 
— D 
diesem Institut wiederhergestellt wird. 
Abg. Stull (Zentr.): Die Genossenschaften sollen einem wirklich 
orhandenen Beduͤrfnis entsprechen; sie jollen bodenständig sein und 
nichts Forciertes haben. Der Landrat kann wohl die Anregung zur 
runduͤng einer Genoffenschaft geben, soll aber nicht in deren Selbst⸗ 
waltumg eingreifen. Poutitke soll von den Genossenschaften nicht 
Feirseben werden. Das muß ich gegenüber dem Referat eines Land⸗ 
rats auf einer Landratskonferenz in Schlesien betonen. 
Finanzminister Dr. Lentze: Derartige Landrat stonferen— 
jen, die unter dem Vorsitz des Oberpräsidenten bezw. Regierungs⸗ 
räsidenten abgehalten werden, haben einen vollständig vertraulchen 
haratter. Die Verhandlungen der vom Vorredner erwähnten Kon— 
erenz sind uns an der ventralstelle nicht bekcumnt, deshalb kann ich 
jeruber nichts sagen. Im übrigen kann ich es nicht für unrichtig 
alten, wenn ein Landraf in seinem Kreise Mitglied einer Genossen⸗ 
chaft wird oder eine foiche gründet. Ich würde es aber mit dem 
Vorredner mißbilligen, wenn der Landrat ,seine Stell ung 
benutzen würde, Polititin der Genolsenichaft zu 
treiben. F 
Abg. v. Bieberstein (kons.) befürwortet eine wirksame Beteili⸗ 
gung der Preußenkasse an der Entschuldungsaktion des ländlichen 
Grundbesitzes. 
Geheimrat Busch: Die Tätigkeit der Preußenkasse ist in gewissem 
Maße auch auf die Entschuldung ausgedehnt Es ist aber nicht mög— 
lich. über die gesetßlichen Bestimmungen hinauszugehen. . 
Abg, Gyßling (Fortschr. Vpt): Wir halten es nicht für richtig, 
daß staatliche Muͤtel zur Enischuldung des landwirtschaftlichen 
Brundbeslkes verwandt werden. J 
Praͤfident der Zentralgenossenschaftskasse Dr. Heiligenstadt: Es 
vird noch lange dauern, bis die Zentralgenossenschaftskasse durch ein 
mnderes Institut erseßt wird, wie das von manchen, Selten gewünscht 
vird. Ein Privatinstitut, kann nicht so gemeinwirtschaftlich witten 
wie eine Stoatsanfialt, Wir können guf die Genossenschaften wicht 
nach der Richtung einwirken, wie sie ihre Bilanzen ausitellen sollen; 
wir sind bestrebt. die Selbstverwaltung der Genossenschaften zu 
wahven. Andrerseits können die Genossenschasten aus einer gewissen 
taatlichen Ueberiwachung nur Vorteil ziehen. Jedenfalls stehen fie 
iich befser. wenn sie in Verbindung mit der Zentralgenossenschafts- 
safse bleiben. Die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes kann 
ehr wohl in Verbindung mit dem Genossenschaftswesen durchgeführt 
véerden. Viel Erfolge haben wir in dieser Beziehung noch nicht er— 
ceicht. weil die ganze Aktion sich noch in der Vorbereitung befindet. 
Wir imüssen Jahre gbwarten. bis wir zu greifbaren Resultgten kom— 
nen. —— Bestrebungen sollen von dem Institut der Preußen⸗ 
asse, die sg nur mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, sern ge— 
jalten werden. 
Abg. Dr. Friedberg (natl.): Der Preußenkasse gebührt für ihre 
Tätigkeit Dank und Anerkennumng. Wir würden uns freuen, wenn es 
zu neuen Verhandlungen zwischen der Preußenkasse und der Zen⸗ 
raldarlehnskasse koömmen würde 
Vbg. Dietrich kons.) warnt vor einem abfälligen Urteil über 
ie Beteiligung der Zentralgenossenschaftskasse an der Euntschul⸗ 
mnsaaee bevor Resultate vorliegen. 
Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Dr. Friedberg (natlib.), 
Ztulle ntry Dietrich (kons.), Gyßling (Fortschr. Vp.), 
hummer (kons.) wird der Etat bewilligt. 
Der Etat, des Herreen hauses wird ohne Debatte erledigt. 
Zum Etat des Abgeordnetenhauses liegt, eint 
Resolution der Budgetkommifsion vor auf Vorlegung eines Gesetz⸗ 
utwurfs, durch den das Recht der Präsidenten beider Häuser des 
Landtags zur Vertretung des Fiskus und die Rechtsverhältnisse 
der Beamten des Herrenhauses und des Abgeordnetenbauses neu 
geregelt werden. 
Abg. Graf Spee (gentr.): Dem Plan, dem Hause eine neue 
ne 500 000 .M aufzusetzen, stehen wir entschleden ablehnend 
gegenüber. 
Der Etat wird bewilligt. 
Die Resolution wird angenommen. 
Beim Etat der allgemeznen Verwaltung, FJitel 
Zuschuß an die Kronkasse zu den Betriebskosten für die königlichen 
Theater“, bemerlt 
Das Etatsgesetz wird vhne Debatte bewilligt, ebenso das 
Etatsnotgeseß, wonach die bis zur — deetiune 
—A—— 
eisteten Ausgaben nachträglich genehmigt werden. 
Damit ist die zweite Beratung des Etats erledigt. 
Hraͤfident v. Kroͤcher schiägt vor, die nächste Stzung morgen 
9 Pe abzuhalten mit der Tagesordnung: Dritte Lesung des 
ats. 
Abg. Fischbeck (Fortschr. Vp.): Ich erhebe Widerspruch 
gegen den Vorschlag des Präsidenten. Früher wurden vom 
Seniorenkonvent die geschäftlichen Dispofigionen getroffen. 
Jetzt besorgen gewisse Herren im Gegensatz zur Linken diese Dis— 
vofistionen. Es ist mir zweifelhaft, ob das zum Vorteil der Ge⸗ 
chäfte dient. Wir haben uns bisher eine außerordentliche Be⸗ 
chrankung auferlegt, haben aber keine Veranlassung, in Zu—⸗ 
unft uns noch weiter beschränken zu lassen. 
Präsident v. Krücher: Der Widerspruch ist wirksam, wenn 
er von 14 Mitgliedern unterstützt wird. 
Der Widerspruch wird unterstützt von einigen National⸗ 
iberalen, den Freisiunigen, Polen und Sozialdemokraten. Der 
Ftat kommt also morgen hi zur Beratung. 
Nächste Sizung Mittwoch 12 Uhr: Feuerbestattungsgesetz, 
kleinere Vorlagen. 
Schluß 50NVnsie 
1 
Untersuchung von Seeunfäãllen. 
Ein ausführliches Gutachten ist, wie die Bremer Handels-— 
animer schreibt, von derselben dem Senat über den Vorentwuri 
ines Gesetzes betreffend die Untersuchung von Seeunfällen er⸗ 
tattet. Schon im letzten Bericht der Bremer Handelskammer 
vurde bemerkt, daß man der Einführung einer Verwarnung für 
zrobes Verschulden eines Schiffers, Steuermanns oder Maschi⸗ 
iisten, das nicht zur Entziehung des Befähigungszeugnisses 
ührt, nicht zustimmen könne. Die Seeämter sind dazu berufen, 
m Interesse der Sicherheit der Schiffahrt einerseits die Ursachen 
)er Seeunfälle festzustellen und durch ihre Sprüche auf die Be— 
eitigung festgestellter sachlicher Mängel hinzuwirken, anderer— 
eits Personen, denen auf Grund staatlicher Prüfungen ein Be— 
ähigungszeugnis für den Dienst auf deutschen Seeschiffen ver 
iehen worden ist, diese Besähigung wieder abzusprechen, wenn 
ie sich als unfähig erwiesen haben. In letzterer Hinsicht sind 
die Secämter Verwaltungsgerichte; sie sollen nicht auch Straf⸗ 
der Standesgerichte sein. In einer Verwarnung liegt aber eine 
Strafe für einen begangenen groben Fehler, jedenfalls wirkt fie 
ails solche. Aus diesem Grunde haben, so weit bekannt, auch die 
dapitäne und Schiffsoffiziere, die anfänglich im Hinblick auf 
eine Erweiterung ihres Berufungsrechts der Einführung der 
zerwarnung zustimmten, sich einmütig dagegen ausgespröchen. 
Sie haben auf der anderen Seite jedoch befürwortet, daß nicht 
nur gegen Patentenziehungen, sondrn auch gegen Vorwürfe 
zines Verschuldens in den Sprüchen der Seeämter eine Be—⸗ 
chwerde an das Oberseeamt zugelassen werden möge. Die 
Bremer Handelskammer hat diefen, schon in den Jahren 1881 
uind 1884 im Deutschen Nautischen Verein erörterten Wunsch als 
berechtigt auerkannt und unterstützt, und, zwar ohne Unter— 
cheidung eines leichten oder groben Verschuudens, da diese in 
)er Praxis kaum durchzuführen sein würde. Von 
hesonderer Tragweite ist ferner die zwar nicht in den Ent— 
mwurte indeisens von söeiten der RMhbeder ehenfallaz jiin 
XBD 
Frage, ob und in welcher Weise den Roedern die Aonelichtet 
chen sel, sich gegen den Vorwurf eines Verschuldens spwohl 
der ersten wie in zweiler Instanz au verteidigen. Nach Anhörrtn 
er hiefaen Rheder, die über das Ziel einig sind, nicht aber üb 
en Linzuschlagenden Weg hatte die Handelstammer es als cr 
wünschi und moalich bezeichnet, dem Rheder das Recht zu geben. 
sowohl in der Seeamtsverhandlung zu erscheinen und sich zur 
VWort zu melden, als auch Berufnng einzulegen, wenn in dem 
Zeeam sspruche ein Vorwurf gegen ihn erhoben wird, Von an— 
erer Seile wird es für erforderlich gehalten, dem Rheder forrell 
e Stellung eines „Beteiligten“, aleich den Inhabern eines Be⸗ 
hinungszengnifses. anzuweisen. Dies erscheint der Handels- 
ammer aber als zu weitgehend, da die „Beteilioten“, wenn zwar 
has seeamtliche Verfahren kein Strafverlahren sein soll, doch vor 
der Heffentlichkeit als Angeschuldigte erscheinen, über die ein 
ürten aesprochen wird. Aber auch im Hinblick auf die Funktion 
er Seeämter als Verwaltungsgerichte scheint dieses systematisch 
ein Widerfpruch zu sein, den Rheder mit den Zeugnisinhabern 
inter einen Begriff zu bringen. Von den übrigen Anträgen, die 
bon der Handelskammer gestellt wurden, ist hervorzuheben, daß 
efelbe in Uebereinstimmung mit allen Vertretungen der See⸗— 
chiffahrt entschieden Einspruch gegen die Bestimmung erhvhen 
hat. daß ein von einem Unfall betroffenes Schiff an seinem Lanu— 
hunasort von den Vorsißenden der Seeämter oder im Auslande 
hon den deutschen Konsuln zum Zwoeck der Untersuchung des Un⸗ 
alles bis zum Ablauf des zweiten Tages nach der Landung zu⸗ 
ückgehalten werden kann. Wegen der bierbei möanlichen Mißz— 
riffe und schweren Schädigungen für die beteiligte Rhederei ist 
zie Streichung dieser Bestimmungen beantragt. Alle übrigen, 
um Teil ebenfalls wesentlichen Fragen, wie die des ursöchlichen 
Aisammenhangens zwischen Verschulden und Unfall und die 
idespflicht der Beteiligten, müssen an dieser Stelle unbesprochen 
leiben. Wie schwierig die ganze Materie ist, ergibt sich daraus. 
oß die Reichsregierung, obwohl sie vor einem Jahre auf eine 
chleunige Einbrinaung des Entwurfs an den Reichstag bedacht 
var, bis heute nicht dazu gelangat ist, und daß auch die auf dem 
semeinsamen Vereinstag des Deutschen Nautischen Vereins und 
zer Seeschiffervereine im März 1910 vereinigten Interefsenten 
mit Rucficht auf die sehr geteilten Meinungen geolaubt baben, 
einem Teil der Fragen von einer Abstimmung absehen zu 
uden 
Die Sisverhãltnisse in den arkt'ischen 
Gewãlsern im Jahre 1910. 
E.w. Auf Veranlassung des 7. internationalen geographischen 
Kongresses sind die Eismeldungen des Jahres 1910 aus dem 
nördlichen Eismeere von Kapitaͤn C. J. Hansen bearbeitet und 
von dem dänischen meteorologischen Instituüte veröffentlicht wor⸗ 
den. Die Grundlagen der interessanten Schrift bilden die Berichte 
von Forschungsreisenden, Expeditionen, Walfischfängern und 
Vergnügungsdampfern. So hätten u. a. auch in diesem Jahre 
die deutschen Dampfer Oceana, Blücher, Großer Kurfürst und 
Mainz sgenesert der Jetztgenannte Dampfer auf seiner 
Forschungsfahrt mit dem Grafen ———— Neben dem Dank 
ir treue Mitarbeiterschaft wird in der Einleitung auch dem 
Bedauern Ausdruck gegeben, daß das Institut aus einigen 
Gegenden, die sogar von wissenschaftlichen Expeditionen besucht 
worden find, keine Eismeldungen erhalten hat. Recht knapp 
paren die Meldungen aus der Beaufort-See und den Gewässern 
bei Nowaja-Semlja, besonders der Kara-⸗See und der Gegend 
unweit der Obmündung. In einer allgemeinen Uebersicht schil 
d dn e die Eissverhältnisse in den einzelnen Gegenden 
wie folgt; 
Das Weiße Meer war sehr früh für die Schiffahrt offen, be⸗ 
reits Anfang Mai konnten Dampfer nach Arxchangel einlaufen. 
An der Küste von Nowaja Semlja bis etwa 74 Gr. N., wo die 
norwegische Ueberwinterungsexpedition ihr Standquartier aujf⸗ 
zeschlagen hatte, war die See während des ganzen Winters eis⸗ 
““ In der Barents-See brach das Wintereis epr früh auf 
Das weiter nordwärts liegende Polareis war sehr fest und schwer 
zu durchbrechen. Im Aufang des Jahres war die Eisgrenze 
normal, in ins das Eis, wahrscheinlich infolge der häufigen 
Nordwinde, so langsam zurück, daß während der Monate Juli 
und August die Eisssgrenze immer noch sehr weit südlich stand. 
Das Eas war sehr schwer und undurchdringlich. Nach einer Mel— 
dung soll ein Schiff Franz Joseph-Land erreicht haben, hat jedoch 
o bald wieder flüchten müssen; dem Institute ist baruüber je⸗ 
och nicht berichtet worden. Bei der Bären-Insel sind im Laufe 
des Somimers wieder Eisberge gesehen worden. Bei Spitzbergen 
waren die — sehr ungünstig, ungewöhnlich schwere 
Fismasfen agen Biitte In' von der Bftküste umt das Süudkap 
herum und an der Westkuüste entlang nördlich fast bis zum Prinz 
harl Vorland, einen Gürtel von 100 Sm. Breite bildend. In— 
solgedessen waren auch die Eisverhältnisse im weiteren Verlaufe 
der Saison recht schwierige. Der Storfjord war während des 
ganzen Sommers voll Eis, die Schiffahrt im Hornsund und 
Bellsund war sehr beschwerlich und der Isefjord war bis An⸗ 
fang September mit Eis gefüllt. An der Nordküste, vom Westen 
bis zur Hinlopen-Straße, war die See Ende Juli fast eisfrei. 
Auch in diesem Jahre ist Spitzbergen nicht umschifft worden. 
Von der Groͤnlandsee sind Berichte für die Monate Mai 
bis August eingelaufen. Die Eisverhältnisse waren ziemlich nor— 
mal; bereits im Mai konnten die Walfischfänger bis zu 80 G. 
Hord vordringen und trafen von der Eisgrenze südwärts nur 
leichtes Eis. Schiffe, die zwischen Franz Joseph-Fjord and Shan— 
non Island navigierten, trafen sowohl nördlich als südlich dieser 
Linie schwere Eisfelder an. Beim Franz Joseph-Fiord wor das 
Wintereis im Auqust noch nicht aufgebrochen. In Angmaksalil 
iag das Eis während des ganzen Sommers dicht unter Land, 
im September erreichte das erste Schiff die Station. Die Küsten 
von Island waren fast eisfrei, im April und Mai jedoch, den 
Monagaten, in denen Eis am häufigsten bei Island beobachtet 
wurde, war die Eisgrenze nicht fern von der NW-Spitze der 
Insel. Nach den schlechten Verhältnissen des Vorlahres wax das 
Fis während dieser Saison fast normal. Vom Februar bis April 
vurde Tafeleis gemeldet, im April erschienen Eisberge, von 
denen in diesem Monate 40 gemeldet wurden. Im Juni liefen 
0 Berichte ein, wahrend im August nur noch wenige Eisberge 
zeobachtet wurden. In der Belle⸗-Isle-Straße, die sehr früh 
Vhhar wurde, wurden im Mai, und Juni viele Eisberge ge⸗— 
ichtet, später nahm ihre Zahl bedeutend ab, doch wurden noch 
vährend des ganzen Jahres Eisberge angetroffen. 
In der Davis-Strafze waren zu Beginn des Jahres die Eis⸗ 
»erhältnisse fast normal. Am 30. Januar erreichte das erste 
Packeis die Straße, doch die Hauptmassen stellten sich nicht vor 
März ein. Während des Sommers reichte das Packeis nicht 
veiter nördlich als Fiskernaes und in Folge dessen waren die 
Fisverhältnisse im Norden von Fiskernges, zumal das Westeis 
ich ziemlich westlich hielt, recht günstig. Von der Ostküste trieben 
in Sommer große Massen Eis nach der Siidwestküste Grön⸗ 
sands und blockierten das Land dort aufwärts nach Frederiks— 
haab bis Eude August. Im nördlichen Teile der Baffin Bay 
waren die Eisverhältnisse günstig, im August war die Labrador— 
tüste fast vollkommen eisfrei. Hudson-Strafze und -Bai waren 
im Juli schiffbar. Das Eis, aus Wintereis beitehend, war loser 
als gewöhulich. Der Dampfer „Discovery“ der Hudson Bay Co. 
konnte das Eis überall bewältigen. In der Straße und dem 
— 
schend, während das Eis in der südlichen Bai schon dem Schmel—⸗ 
en nahe war. Im April und Mai lag die Eisgrenze im Bering⸗ 
Meer südlicher als gewöhnlich. Ende des Sommers waren die 
Eisverhältnisse in der Beaufgrt-See normal, während sie an 
der VO-Küste Sibiriens scheinbar ungünstig gewefen sind. 
Die Aussichten für das Jahr 1911, sind, soweit die Barents⸗ 
See in Frage kommt, nicht gerade günstig. Die großen Eisschie— 
bungen, die während des Spätsommers im nördlichen Teile der 
Barents-See stattgefunden haben, machen es wahrscheinlich, dg 
im Frühiahr 1911 dort auch viel Eis sein wird und voraussichtli 
auch beim südlichen Teile von Spitzbergen. Diese Eismassen 
verden aber kaum irgend welchen Einiluß auf das WPolareis 
zistlich von Grönland haben. In der Davis-Straße sind unter 
Berücksichtigung der Eisverhältnisse bei Ostarönland während 
des verflossenen Jabhres nur normale Zustände zu erwarten. Do 
Davis-Straße und Baffin-Bay 1910 ziemlich eisfrei gewesen sind 
* ann mgn auch östlich von Nenfüundland auf ein normales 
Fikiöse rochton
	        
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