Deutscher Reichstag.
151. Sitzung.)
Berlin, den 18. März.
Am Bundesratstisch: Delbrück.
Die zweite Beratung des Reichshaushaltsetats für 1911 wird
ortgesetzt im Spezialetat für das
Reichsanrt des Innern
und zwar w den sortdauernden Ausgaben für das Gesund⸗
eitsamt.
Abg. Ranner (Jentr.) befürwortet jolgende Resplution: „Die
Berbündeten Regierungen um Einbringung eines Pesepeppri
zur Ahänderung des Gesetzes betr. das Vlehseuchengeseg
vom 26. Juni 1809 zu ersuchen, in dem die Entschäidigungspflicht
des Staates ausgedehut wird auf Viehverluste, die durch Maul⸗
und Klauenseuche und deren Folgen herbeigeführt werden.“
Der Mitantragsteller verweist auf die großen Verluste, die die
deutsche Landwirtschaft durch die Ausfuͤhrung des Viehseuchen⸗
gesetzes erlitten hat. Das Gesetz sehe ja eine gewisse Entschädi⸗
gung schon vor, aber nur für solche Schädigungen, die infolge
amtlicher Anordnungen eingetreten seien. Dies genüge aber
nicht; darum bitte er, die Resolution des Zentrums anzunehmen.
Beifall im Zentrum.)
Abg. Graf Kanitz (stons.): Diese Resolution entspricht den
Würnschen der Landwirtschaft namentlich in den östlichen Provin—
zen. Der größte Schaden erwächst den Landwirten durch die
Sperrmaßregeln. Dieser Schaden beträgt nach der Berechnung
eines ostpreußischen Besitzers das Dreifache des Schadens, der
durch die Maul- und Klauenseuche entsteht. Hier muß die Allge⸗
meinheit helfend eintreten. Ich bitte Sie, die Resolution anzu—
nehnzen. GBeifall rechts und im Zentrum.)
Abg. Sietsch (Soz.): Wenn man die Bekämpfung der Tier⸗
seuchen fsorwesetzt in den Vordergrund rückt, soll man auch ein⸗
mal von den Krankheiten sprechen, die die Menschen,
nmentlich die Arbeiterschaft heimsuchen. Hier richtet die Tu⸗
berkulose große Verheerungen an. Trotzdem hat man zu ihrer
Bekämpfung nur einige Hunderttausende übrig gegenüber den
hunderten von Millionen, die der Militarismus fordert. Die
Ursachen liegen an mangelhafter Ernührung und Wohnung, zum
—35 — Teil aber auch an ungesunden Arbeitsverhältnissen, z.B.
solchen in Glasschleifereien und Porzellanfabriken. Die Kran—
kenzahl ist erschreckend groß, sodaß —— —— in den Be⸗
trieben geboten sind. Die Berichte der Gewerbeinspektoren über
die unglaublich schlechten Wohnungsverhältnisse der Vorzellan—⸗
warhen sind auf einen deutlichen Wink des Reichsamts des
Innern rosiger geworden, als sie anfangs waren; diese Woh—
nungen sind die gesuhelichsten Herde der Tuberkulose. Dazu
komnit, daß die Vorzellaumanufaktur ein überaus gewinnbrin—
gendes Unternehmen für die Kapitalisten ist. Die Industrie kann
nicht fortschreiten, wenn Leute die Produkte herstellen, die kör⸗
perlich nicht gefestigt sind. Die Relchsregierung muß da durch⸗
reied eintreten. Leider ist die organifierte Arbeiterschaft von
er Beteiligung an der Hygiene-Ausstellung in Dresden durch
die Unternehmerschaft ferngehalten worden. Geifall bei den
Sozlaldemokraten.)
Staatssekretär Dr. Delbrück: Die Hygienische Ausstellung
Dresden ist ohne jede Mitwirkung des Reiches unternommen,
und ich bin nicht unterrichtet über das, was dort passiert ist. Ich
hin nicht in der Lage, festzustellen, ob die Vorwürfe, die der Vor—
redner erhoben hat, begründet sind oder nicht. 84 bin lediglich
b erufen, mich zu dem zu äußern, was von Seiten meines Ressorts
auf diesem Gebiete geschehen ist. Der Vorredner ist im Laufe *
ner Bemerkungen zu der Behauptung gekommen, die Gewerbe⸗
aufsichtsbeamten seien vom Reichsamt des Innern angewiesen wor⸗
den, über edee Vorgänge nicht mehr zu berichten. Von
mir aus ist eine solche Anoxdnung zweifellos nicht ergangen, sie
st aber auch in, Preußen nicht ergangen, sondern in Preußen sind
die Gewerbeauffichtsbramten lediglich angewiesen, tatsächlich nicht
su begründende Urteile und allgemeine Betrachtungen zu unter⸗
assen. Dagegen ist es ihre Pflicht, über das tatsächliche Material,
das zur Beurteilung von eventnell bestehenden Mißzständen von
Bedentung ist, nach wie vor zu berichten. Im übrigen hat der
Vorredner der Auffassung Ausdruck gegeben, daß von Seiten des
dteichsgesundheitsamtes bezw. meines Resforts den Gefahren,
denen die Arbeiter für Gesundheit und Leben ausgesetzt sind, nicht
die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wird. Anch das ist 5
Wir sind dabei, die Borschriften zur Bekämpfungber
Erkrankungen speziell in der keramischen Induüstrie auszu—
bauen. Abgesehen von der Porzellanindustrie handelt es sich da⸗
bei um Bleigefahr und zweitens um die Gefahren der Tu⸗-
berkulose. Es hat sich ergeben, daß die Angaben über die um⸗
gewöhnlich große Zahl der Tuberkuloseerkrankungen speziell in
der keramischen Industrie mindestens unsicher sind. Neue Ermiti⸗
huingen haben ergeben, daß die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen
in der keramischen, Industrie nicht so groß ist, als man ange⸗
nommen hat auf Grund der Urteile einzelner Aexzte. Ich verweise
anf die Statistik der Leipziger Ortskrankenkasse, aus der ergibt,
daß speziell die Zahl der Tuberkuloseerkrankungen in der kerami—
schen Industrie nicht übermäßig groß ist, aber auch diese Frage ist
Gegenstand eingehender Erörterungen, und wir werden demnächst
in der Lage sein, das Ergebnis dieser Erörterungen sowohl über
die Bleierkrankungen wie über die Tuberkuloseerkrankungen zu
veröffentlichen. Außerdem sind die Vorschläge der internafionalen
Ronferenz für Arbeiterschutz und über die Bekämpfung der, Ge⸗
saree innerhalb der keramischen Industrie zur Zeit Gegenstand
er Bearbeitung im Reichsamt des Innern. Sie können also nicht
hohaupten, daß die vom Vorredner erörterten Fragen von meinem
Ressort nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit behandelt sind. Der
Vorredner hat behauptet, es sei erstaunlich und beschämend, wie
wenig von Seiten des Reiches für die Bekämpfung der —ãâí —
geschähe. Er hat speziell auf die geringe Summeé hingewiefen, die
dafür im Etat enthalten ist. Dem gegenüber muß eins festgehälten
werden, daß nämlich die Seuchenbekämpfung an lich Sache der
Vinzelstagten ist, daß so, wie die Ressorts gelagert find, das Reich
in der Hauptsache nur die wissenschaftliche Bearbeitung dieser
Frage, soweit fie in das Rrichsgesundheitsamtes fällt,
zu erledigen hat, während die Durchführmig der Maßnahmen in
erster Linie Sache der Einzelstaaten ist. Nun wird niemand be—
haupten können, daß gerade auf dem Gebiete der Tuberkulose das
Reichsgesundheitsamt nicht seine Pflicht getan hat. Soweit ich
übersehen kann, sind wir bei der Tuberkulose jetzt so weit, daß
wir die Ursache der Krankheit kennen, daß wir die Umstände zu
erkeunen vermögen, die der Krankheit uden und die ihr ab⸗
träglich sind, und daß wir uns über die Mittel, mit denen man
der Tuberkulose und ihrer Verbreitung entgegentreten kann und
nuß, vollständig im klaren sind. Im übrigen arbeiten die Ver⸗
reter des Reichsgesundheitsamts dauernd im Zentralkomitee für
die Bekämpfung der Tuberkulose, und die spezielle Aufg ibe dieses
Komitees ist es, an Einzelfällen die Methoden der Tuberkulose-
bekampfung zu erproben und durchzuführen. Die Heit reicht heute
nicht, ich könute sonst an einer Iuen ge von Fällen, die mir
persönlich aus der letzten Zeit bekaunt sind, nachweisen, daß wir
* dieser Aufaabe eine unausgesetzte Auͤfmerksamkeit schenken.
Wenn in irgend, einem Lande die Tuberkulosebekämpfung eine
erfolgreiche gewesen ist, so ist es bei uns der Fall gewesen.
Ich möchte auf folgende Kahlen aufmerksam machen: Waäͤhrend
drs ersten Jahrfünfts von 1898 bis 1902 starben in 20 Staatsge⸗
vbieien des Deutschen Reiches an Tuberlulose überhaupt 580 204
Personen, das sind auf je 100000 Einwohner im Mittel jährlich
213.13 während des folgenden Jahrfünfts starben aus derselben
ürfache auf je 100 000 Einwohner im Jahre 1903: 207,3, 1904:
203,5; 1906: 188,2 und 1907: 184,9. Die Sterbeziffer ist also in der
Zeit bis 1907 gesunken von rund 214 auf rund 184, und dieses
Fallen der Sterbeziffer ist abgesehen von einer geringen
Schwankung nach oben in dem Jahre 1904/05 konstant. Ich habe
die neucsten Zahlen nicht zur Hand, soweit ich mich aber erinnere,
ust die Tendenz dieselbe geblieben, und ich erinnere mich auch,
Statistiken in der Hand gehabt zu haben, wonach namentlich in
einzelnen Drten und Bezirken, die früher von der Tuberlulose
schwer heimgesucht wurden, Dank der von uns angewandten und
enwfohlenen Bekämpfungsmethoden die, Erkrankungas⸗ und
Sterbeziffern in noch viel größerem, Umfange azurückgenangen
sind als im Durchschnitt im ganzen Reich. (Hört! Hört!) Wenn
wir auf irgend einem Gebiete mit einer gewissen Befriedigung auf
das zurückblicken können, was wir in hynienischer Beziehung im
Laufe der letzten zwei Jahrzehute geleistet haben, so ist es zweifel⸗
p dem Gebiete der Tuberimosebekämpfung der Fall.
eifall.
Abg. Nenner (natlib.): Der Abg. Kietsch hat sich über die
deistungen der Arbeltgeber in zu harter Weise ausgesprochen. Ich
lelle aber gern fest, daß er im Eingange seiner Rede ausdrücklich
servorgehoben hat, daß in den meisten Betrieben inbezug auf die
zntstaubung weitgehende Vorsorge getroffen ist. Auch wie sind
—
uür die Gefuidheit der Arbeiter anzumenden sind. Es müssen in
sefährlichen Betrieben die nötigen Vorrichtungen angebracht,
Frhauftoren usw. aufgestellt werden, um die Luft so zu verbessern,
dah das Arbeiten darin ohne Gefahr ist. Wir halten es für eine
Pflicht des Reichsgesundheitsamts, weitere Erhebungen darüber
anzustellen. Für die Verbesserung, der Wohnungs—
verhälfnisse muß ebensalls weiterhin Vorsorge getroffen
verden, um auch so das Eindringen der Tuberkulose zu ver—
sindern. Bereits im vorigen Jahre habe ich darauf hingewiesen,
bah man eine reichsgesetzliche Regelung des Apotheken—
vesens in den Interesfentenkreifen jsür dringend notwendig
lt. Die darauf gerichteten Bestrebungen gehen bis auf das
Jahr 1860 aurück, wo im Norddeuntschen Reichstage eine Resolution
iefes Inhalts angenommen wurde. Nachdem frühere Gesetzent⸗
vñrfe kein Ergebnis gehabt haben, ist das Bestreben nach reichs⸗
sefetzlicher Regelung des ganaen Apothekenwesens nach wie, vor
hzeftihen geblieben. So fahen sich die Renierungen veranlafßt,
Bof einen neuen Vorentwurf au unterbreiten. In den Apotheler⸗
sreisen felbst find Meinungsverschiedenheiten vorhanden, Insbe⸗
vndere stehen sich die Interessen derBesitzer und der kouditionierezi⸗
den Apoltbeker gegeniiber. Dies kann aber kein Grund gegen die
Vorlegung eines Entwurfes im Reichstage sein. Die Verhältnifse
ʒerschlechtern sich von Jahr au Jahr, und wir sind derRegelung der
Frage jetzt scheinbar ferner denn ie, Der Hemmschuh ist Preußen.
Im vorigen Jahre hat der Staatssekretär gesagt, das umfangreiche
Material würde im Reichsanit des Innern gesichtet werden. 79
ne wissen, was das Ergebnis dieser Inaeaenn ist. Au
die lonzesssonserten Apotheten sind keineswegs für das reine An—
jennitatsprinzip. Sie haben gegen den Vorentwürf ganz andere
Bedenken. Die ganze Frage scheint uet auf einem soten Punkt
ingelangt zu sein. Eine solche Verschleppung der Angelegenheit
st höchfr bedauerlich. Die preußischen Verhältnisse drängen nach
mer Entscheidung. Es wäre besser gewesen, wenn man den Vor-
ntwurf überhaupt nicht verösfentlicht hätte, dann wären die Ein—
elstaaten jetzt schon einig; Bayern war schon im Begriffe, das
Pothekenwesen bundesstaatlich zu regeln; man hat die Sache nur
nit Rücksicht auf die 3 xeichsgesetzliche Regelung zu⸗
ückgestellt. Ebenso war es in Sachsen. Es wäre dringend not—
vendig, daß der Staatssekretär erklärte, ob ein Reichogesen zu er⸗
varlen ift oder nicht. Sind die Schwierigleiten unüberwindlich,
Jut, dann können die Bundesstaaten die Sache regeln, und der
Ztaatsfekretär kann üͤberzeugt sein, daß sie bald geregelt werden
vird. Von nicht minderer Bedeutung ist die Seuchenfrage.
kin unermeßlicher Schaden ist den deutschen Landwirten durch die
Haul⸗- und Klauenseuche in den letzten a zugefügt worden.
ẽs ist noch nicht fesigestellt, ob die Erkrankungen in der Rheinpro⸗
sinz mit denen auf dem Berliner Viehhofe n
Jedenfalls ist der Berliner Viehhof als Zentrale eine roe Ge⸗
ahr für die Weiterverbreitung der Seuche. Es handelt sich hier
uim Milliavden von Werten, an deren Erhaltrung das gesemte
ocutfche Volk ein Interesse hat. Es wäre nötig, die Vollzugsvor⸗
chriften zum Seuchengesetz möglichst bald fertigzumachen und in
die Praxis überzuführen. Die Resolution Frtuna ist eine not⸗
vendige Korrektor des Seuchengesetzes. Solange der Krankheits-
rreger der Maul- und Klauenseuche p bekannt ist, ist auch eine
virtfame Berampfung dieser Seuche nicht möglich. Es sollte ein
Preis ausgeschrieben werden. Die Desinfuttoren baben leider
noch nin — Resolution
vor, we die Verbůndeten Regierungen ersucht, tunlichst bald
men Gesetz, Entwurf zum Schutze der Bienenzucht gegen
Faulbrut dem Reichstage zur Beschlußfassung vorzulegen. Ich
hitte um deren Annahme, denn, die Beuenzucht ist ein wichtiges
Nebengewerbe der Landwirtschaft. Geifall.)
Staatssekretär Dr. Delbrück: Die von dem Abg. Neuner ge⸗
vünschte Erllaͤrung über das Schicksal des Apotheken⸗
Jesehes obzugeben, bin ich heute in der Lage. Ich bin für
neine Person zu dem Ergebnis gekommen, daß es richtig sein
ird, den VBerbündeten Regierungen zu empfehlen, auf eine
Renelung der Materie im Wege der Reichsgesetzgebung zu ver—
ichlen (Hörti Hört! Iinks). Ob es zweckmäßig war, den Entwurf
on i907 zu verofsentlichen oder nicht, will ich nicht erörtern, es
gut das noch in die FJeit des Vorgängers meines Amtsvor⸗
naers. Daß es so lange gedauert hat, che ich eine positive Ent⸗
cheiduug fallen konnte, liegt nicht am mangelnden Inuteresse,
sondern an der spröden Materie und an der Verzögerung, die
Antreten muß, wenn ein wiederholter Wechsel in der Person des
Refforichefs eintritt. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, mich
ingehend zu informieren, ich habe eine Reihe von Sachverstän⸗
igen gehört und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß ich nicht in
er Lahe sein würde, ein Gesetz vorzulegen, für das ich einerseits
die perfoönliche Verantwortung au übernehmen geneigt sein würde,
und dessen Annahme ich andererseits vom Reichstag erwarten
zönnte. So schwer es mir wird, wenn eine positive Leistung von
mir verlangt wird, eine negative Erklärung abgeben zu müssen,
so habe ich doch geglaubt, der Sache einen Gefallen zu tun, indem
ich der bestehenden Unsicherheit ein Ende bereite und den Landes-
geseßgebungen die Möglichkeit gebe, ihrerseits einzugreifen. Ich
dabe fschließlich auch geglaubt, umso eher so entscheiden zu können,
ils ja der vekannte Entwurf im wesentlichen nur eine Zusammen-
afsung des in der Mehrzahl der Einzelstaaten geltenden Rechts
bringen sollte, dahingegen die Kardinalfrage der Ablösung aus⸗
geschieden vlesben mußzte, weil das Reich diese zweifellys nicht
bernehmen kann. Ich hoffe, daß die Landesgesetzgebung ent⸗
prechend den besonderen Verhälfnissen der Materie zu deren
Regelung schreiten wird. Was die Wünsche betreffend die Maul⸗
ind Klanenseuche angeht, so sind wir uns des bedrohlichen
Lharakters derselben bhewußt. Was an uns liegt, ist geschehen,
im den Gang der Seuche zu erkennen und daraus Schlüsse für
hre Bekaͤmpfung zu zieben. Im eingzelnen aber liegt diese Be⸗
aͤmpfung in den Händen der Bundesstaaten, und ich kann auf die
zier an den Maßnahmen einzelner Bundesregierungen geübte
kritik nicht eingehen. Zu der vorgelegten Resolution und ihrer
Forderung bin ich beim besten Willen nicht in der Lage, Stellung
u nehmen; die Resolution entfernt fich weit von dem Grundsatz,
iber den man sich bei, der Verabschiedung des Gesetzes zwischen
seichstag und Verbündeten Regierungen geeinigt hat. Ein Ge—
etzeutwurf zum Schutze der Bienenzucht gegen Faulbrut ist
rusgearbeitet uñd liegt jetzt der preußischen Regierung zur Begut⸗
aichtung vor. Daß die Ausführungsbestimmungen zum Vieh⸗
euchengesentz noch immer nicht fertig sind, betlage ich mit den
Lorrednern und denen, die denselben Tadel nachher noch aus⸗
prechen werden. Ich erkenne ohne weiteres an, daß angesichts der
dalamität der Maul⸗ und Klauenseuche dringend zu wünschen ist,
daß das Gesetz in Kraft aesetzt wird. Ich möchte aber ausdrücklich
demerken, daß, wenn die Ausarbeitung dieses viele hundert Para—
zraphen erfordernden Gesetzes so lange dauert, es nicht am
RKeichsanit des Innern liegt. Die Schwierigkeit liegt darin, daß
ur Durchführung dieser Ausführungsbestimmungen die einzelnen
Zundesstaaten gehört werden müssen, auf besonderen Wunsch des
Reichstanes auch eine Reihe von Interessenten-Vertretungen, und
daß dann erst der Bumndesrat in die Lage kommt, darüber zu be⸗
chließen. Der Entwurf liegt aurzeit den Interessenten-Vertre⸗
ungen vor, und ich boffe, daß es mir in nicht allzu langer Zeit
jelingen wird, ihn an den Bundesrat zu bringen. Ueber die
Maul⸗ und Klauenseuche ist wohl heute noch nicht das lette Wort
gesprochen (Seh richtiah): ich behalte mir vor, event. noch nähere
Auskunft durch einen meiner Kommissare gaeben au lassen.
Abg. Dr, Mugdan (F. B.): Hocherfreut sind wir nicht von der
Erklärung des Staatsfekretärs, daß von einem Reichs—
Apothekengeseß Abstand genommen werden soll. Vier bis
süuf Jahre find nußlos vergangen, und dem Gros der Apotheker
geht es durchaus nicht sehr gut. In den kleinen Städten haben sie
außerordentlich schwer zu kämpfen und nebenbei ein arbeitsveiches
und verantwortliches Leben. Die Frage der Drogenhaud-
hungen bedarf auch dringend einer Lösung. Es geht doch nicht au,
»aß es den Drogenhandlungen verboten ist, gewisse Artikel zu ver—⸗
qufen, die absolut unschädlich find, die jeder dort ziu: erhalten
laubt, während andererselts gewisse giftige Stoffe in den Drogen⸗
andlungen verkauft werden dürfen, die nicht einmal die Apothelen
hne Rezept abgeben dürfen. Ich habe leider nicht die Hoffnung,
»ahß die Elnzelstaaten so schnell das nachholen werden, was das
Keich bisher nicht zu errelchen vermocht hat. Eine Gesetzesvorlage
erzußeIen ist wirklich nicht so schwer. Wir hahen sie seit Jahren
erlangi und Graf Posadowsky hat schon 1900 esnen Entwurf he
prochen. Ferner sollte ein Hebammeng ees nun endlich ge⸗
chaffen werden. Daß in der Tuberkulosebekämpfuna
uerordenilich Großes geleistet ist. muh anerlannt werden, aber
chon Robert Loch hat darauf hingewiesen, daß die Bekämpfung in
er Familie beainnen muß. Die Kindertuberkulose hat keine Ab.
ahme erfahren; sie zeigt im Gegenteil eine höhere Sterbeziffer. Die
hehörden und Krankenkassen haben keine Verpflichtung, weil die Kin—
der nicht versichert sind. NRuch die Landesversicherungsanstalten
sommen nur indirelt in Betracht. Für die Zentrumstesolution wer⸗
den wir stimmen. aber sie wird der Bekämpfung der Bleikrankheiten
icht sehr förderlich sein. Die Bleivergiftung ist ja in ihrem
helun fehr häufig nicht zu erlennen, die Diggnose kann erst später
seftellt werden, wenn bestimmte Anzeichen auftreten. Deshalb wird
ine Anzeigepflicht nichts nützen, auch bei den Krankheiten nicht, auf
die die Sozialdemokraten aufmerksam gemacht haben. Sie erfordert
iwas, wofür die meisten Parteien nicht zu haben sind: einen freien
Nerztestand. Sie können die Bekämpfung der gewerblichen Krank:
seiten gar nicht einführen, wenn Sie nicht die Frere Arztwahl
insühren. Solange der Kassenarzt abhängig ist. haben gesetzliche
Bestimmungen über die Anzeigepflicht der Gewerbekrankheiten
einen allzugroßen Sinn und ist eine wirkliche Gewerbehygiene nicht
nöglich. Die Maul- und Klauenseuche ist dießmal mit einer be—
onderen Heftigkeit aufgetreten. Schon bei der letzten Viehaählung
jat sich ergeben. daß der Rindviehbestand bedeutend gesunken ist. Die
Berbündeten Regierungen müssen schon jetzt fich klar machen, wie
ser mit Sicherheit zu erwartenden Fleischnot zu begegnen ist
die Frage der Auftebung der Futtermittelzölle wird in diesem
zahre brennend werden. An eine Oeffnung der Grenzen kann nicht
edacht werden, da in den Nachbarländern ebenfalls Maul- und
lauenseuche herrscht. Nur ein einziges Land ist seuchenfrei. das ist
anemark. Deshalb erhebt sich die Frage, ob nicht die dortige Be—
impfungsmethode die einzige erfsolgreiche ist. Daß unser Be—
ämpfungssystem keinen Erfolg bringt, kann nicht hestritten werden.
)abei ist es mit sus unertraͤglichen Vexationen für die ländliche
gevölkerung verknüpft, die umsomehr empfunden werden, als sie
rfolglos sind. Die Impfung hat vollständig versagt. Die Arbeiten
es — ——— Löffler haben bisher zu keinen Ergebnis geführt
venn man 'vielleicht auch noch eininal ein Serum gegen die Maul⸗
ind Klauenseuche findet. Wir müssen wohl zu dem System über⸗
ehen, das in Dänemark besteht, wo jedes maul- und klauenverseuchte
kier abgeschlachtet und der Besitzer entschädigt wird. Die Absper⸗
ungsmaßregeln haben nicht den nötigen Erfolg, da die Inselten
ur Verschleppung beitragen. (Beifall.)
EStaatssekretär Delbrück: Der Vorredner hat darüber geklagt,
m der Entwurf eines Hebammen-⸗Geseres noch nicht vor—⸗
elegt ist. Ich sbaub⸗ wir täten gut, zunächst das zahlreiche Waterial
ufzuarbeiten, das reif ist, ehe wir neue Gesetze in Angriff nehmen.
Aber ich kann dem Vorredner sagen, daß wir in der Lage sein wer
en, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es dre Verhandlungen mit dem
deichsgesundheüsant eingeleitet. Auch die Frage der Tuberku—
oser⸗Bekämpfung in der —88 ist Gegenstand ein
ehender Untersuchungen, Wenn auch bei der Kindertuberkulose ein
eringes Steigen der Sterbeziffer zu beobachten ist, bedeutet dies
„och nichts gegenüber dem bemertenswerten Sinken der Sterbeziffe.
iberhaupt.
Abg. Gäbel 3 Vgg.): Ich freue mich über die entgegentom—
iende Feee 8 Slaatssekretärs über die Vorlegung eines
zesehes zum Schutze der Pienza Hoffentlich werden
le Wünsche der Deneter dabei beruͤcksichtigt werden. Wir Bie—
enzüchter meinen, daß Bienenhonig nur solcher Honig ist, der von
en Bienen in der Natur gesammelt wird, nicht ein Honig, der durch
Juckerfütterung erzielt wird. Das Reichsgericht hat diesen Honig
uücht als einen verfälschten D ro: ich glaube, daß seine Ent—
cheidung doch einer Korrektur bedarf. (Beifall.)
Abg. Dr. Rösicke (dk.)!: Der Abg. Mugdan hat eine ander—
veite Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche empfohlen,
—
digung geben. Wir meinen, daß die heutigen Vorschriften anders
mngewendet werden müssen, daß aber eine Freigabe nicht statthaft ist,
ondern daß die Maßregeln noch verschärft werden müssen.
Wir müssen Maßnahmen treffen, um schneller über den Seuchen⸗
usbruch im Auslande unterrichtet au werden. Man erhoffte von
er Oeffnung der Grenze gegen Frankreich eine Verbilliaung des
Fleisches. (Z3urufe b. d. Soz.) Alle diese Hoffnungen sind in
einer Weise eingetroffen. Der Preisstand des Fleisches hat sich
licht vermindert: die Preise in Frankreich sind höher geworden,
ie Preise in Deutschland genau dieselben geblieben. Hamburag
st dem Beispiel der anderen Städte nicht, gefolat. Dem Reichs-
angzler kann ich nur empfehlen, sich durch das Geschrei der Presse
zicht beirren zu lassen. Alle unsere damaligen Vermutungen
aben sich bewahrheitet. Von Rußland droht heute noch die
—
sität der Seuche erfordert auch besondere Maßnahmen. Im Mai
1909 war Deutschland seuchenfrei. Man vermutete, daß der erste
Finschleppunasfall aus der Schweiz erfolgt war. Im Oktober gab
es schon über 2000 und im Dezember über 4000 Fälle von Seuche.
Aehnliche Steigerungen sind in andern Jahren eingetreten. Von
Ende September bis jetzt hat eine fast 2fache Vermehrung der
Seuche stattgefunden. Diese Steigerung ist ganz erschreckend und
ie daraus erwachsene Schädigung ganz ungeheuer. Im Durch—⸗
chnitt hat jedes der letzten Jahre einen Schaden von 38 Millie—
ten gebracht; 1903/94 betrug der Schaden 100 Millionen. Zucht-
ychsen werden, bei Ausbruch von Maul- und Klauenseuche unver—
äuflich; die Kosten der Durchseuchung und dex Minderwert der
Tiere haben in manchen Fällen bis zu 50 pgt. Schaden verursacht.
Venn man solche Experimente wie mit der Einfuhr im vorigen
derbst nicht gemacht, dagegen engerisch gegen die ersten Seuchen—
älle eingeschritten wäre, so hätte die Seuche diesen Umfang nicht
nnehmen können. Wir haben daher solgende Resolution hean—
ragt: den Hexrn Reichskanzler zu ersuchen, schleunigst eine Kon—
erenzbon Sachverständigen unter Hinzuziehung einer entsprechen-
ꝛen Zahl von Landwirten einzuberufen zur Berätung und, Durch-
führung von Maßnahmen, welche die Sperrmaßregeln zur
Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche bei voller
Wahrung der Fiele des Seuchenichutzes so einrichten, daß unter
allen Umständen die aroße für die Landwirtschaft und die gesamte
»eutsche Volkswirtschaft bestehende Gefahr ausgeschlossen wird, die
urch die Verhinderung rechtzeitiger Bestellung. der Benussung der
Weiden und des Absatzes von Mastyieh droht. Die Sperrmaß-
zegeln werden ja nicht im Interesse des einzelnen Landwirts, der
»avon schwer betroffen wird, sondern im Interesse der Allgemein⸗
eit, im Interesse ganz Deutschlands getroffen; also muß auch die
Entschädiaunaspilicht Plaß greifen, auch für die Verluste durch
Maul. und Klauenjeuche, wie sie der Antraq von Hertling perlanat,
Staatssekretär Dr. Delbrück: Ich möchte noch einmal daraus
zufmerksam machen, daß die Durchführung, des Vieh,
euchengesetzes in der Hand der Landesregierungen liegt.
der Reichskanzler kann in seiner Einwirkung auf die Landes⸗
regierungen nur so weit gehen, als er seinen Forderungen eine
eterinärpolizeiliche Begründung geben kann. Wenn Einzel⸗
taaten die Einfuhr von französischem Vieh unter sehr umfassenden
Vorsichtsmaßregeln gestattet haben, und, nach dem, Urteil aller
achverständigen veterinärpolizeilichen Instanzen Bedenken gegen
ie Einführung nicht geltend gemacht werden konnten, so würde
s ein vergebliches, gesetzlich nicht zu begründendes Verlangen
zewesen sein, wenn ich von den Verbündeten Regierungen ge⸗
ordert hätte, daß die französische Grenze nach wie vor
zeschlossen bleiben sollte. Selbstverständlich habe ich die Forde⸗
ung gestellt, daß, wenn der Gesundheitszustand des Viehrs in
rrankreich zu irgendwelchen Bedenken Anlaß geben sollte, die
Brenze wieder zu sperren sei. Das ist von den Regiernngen
rompt, zum Teil noch ehe meine Aufforderung sie erreicht vatte,
jeschehen. Der Abg. Roesicke hat gemeint, die betreffenden Ver—
üguugen der Bundesregierungen seien zu einer Zeit ergangen,
ils Frankreich berceits wieder versencht gewesen sei. Er hat daxau
rinnert, daß er mir bei den Verhandlüngen im November eine
Depesche vorgelegt hat, nach der in Frantreich die Maul- und
dlauenseuche wieder aufgetreten sei. Ich kann demgegenüber fest⸗
tellen, daß diese Meldung auf einer unrichtigen Mitteilung be—
uhte, und daß es sich nicht um Maul- und Klaucuseuche gehandel
zat. Der Abg, Rösicke hat die Vermutung ausgesprochen, daß wir
insere veterinärvolizeilichen Maßnahmen träfen tediglich“ auf
Rrund der ziemlich spät in unsere Hände gelangenden gnitlichen
Mitteilumgen des Auslandes. Auch das trijft nicht zu. Die Kon⸗
uln und die anderen Organe, die uns im Nuslaud zur Verfügung
kehen, sind angewiesen, uns in jedem Falle des Austretens einer
Seuche oder eines Seuchenverdachtes sofort telegraphisch Meldung
u machen. Auf Grund dieser Meldungen werden soiort die er;
orderlichent veterinärpolizeilichen Anordnüngen getroffen. Das