Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

schränkte sich auf den Hinweis, daß die Reden ber einzelnen 
Abgeordneten nur deren Privatmeinung wiedergäben und 
richt die Meinung der Duma aussprächen. Po⸗ 
frrowti (Sozialdemokrat) beschuldigte unter grohßem Lärm die 
russische Regierung der feindlichen Politik gegen China. Seine 
Partei sei nicht beunruhigt durch den Sieg der iapanischen 
Diplomatie Aber die russische. Die Regierung wünsche die 
innere Schwäche auszugleichen und unternehme wieder ein 
gefährliches Spiel. Seine Partei fürchte eine zweite Revolution 
nicht, begrüße sie vielmehr. Wetschinin (Nationalist) vor— 
las eine Erklärung seiner Partei, daß die dilettantenhafte 
und grundlose Rede Miljukows in dein Augenblick, wo die 
Regierung mit China ernste Verhandlungen plane, unpassend 
und unpatriotisch gewesen sei. Er halte es für höchst schäd⸗ 
lich, unter den gegenwärtigen Umständen über die äußere 
Politik zu debattieren. Kamenski (Oktobrist) erklärte, nicht 
nur die Abgeordneten, sondern das ganze rufsische Voll 
würde vor keinem Opfer zurũdschreden, wenn die Ehre und 
Würde Rußlands angetaäastet würden. Geifall.) Woieikow 
sprach den Wunsch aus, daß in den russischen Konsulaten im 
Ausland nur rufsische Untertanen angestellt werden sollten. 
Die Duma nahm schliehlich die einzelnen Posten des 
Etats des Ministeriums des Aeußern gemäß den Vorschlägen 
der Kommission an. 
die Jugendpflege im preußischen Abgeordnetenhause 
In der Abendsitzung des preußischen Abgeordnetenhauses 
vom 14. d. M. stand der Einmellionenfonds zur Debatte, 
der in den Etat eingestellt worden ist, um die auf die 
Pflege der schulentlassenen Jugend gerichteten Bestrebun— 
gen zu unterstützen. Dabei wurde auch der Erlaß des 
Kultusministers vom 18. Jan. 1911 und die ihm beigefügten 
„Grundsätze und Ratschläge für Jugendpflege“ in der De— 
batte besprochen. Während die Redner der Konserva— 
tiven, des Zentrums und der Nationalliberalen 
die Absichten der Regierung billigten und zum Teil be— 
geistertes Lob spendeten, hielt der Redner der sort⸗ 
schritt lichen Volkspartei sich etwas reservier— 
ter. Seine Freunde seien zwar bereit, den Fonds zu 
bewilligen, sie müßten aber weitere Erklärungen seitens 
des Herrn Ministers abwarten. Vor allen Dingen müßte 
erst die Erfahrung zeigen, nach welcher Richtung tat— 
sächlich diese Bestrebungen gehen würden. Sehr scharf 
ging der sozialdemokratische Abg. Ströbelvor. 
Er sprach von dem Kampf der Regierung gegen 
die soztaldemokratische Jugendorganifation 
und vom Kampf um die Seele des jugendlichen Arbeiiters. 
In der Tat wird die Absicht der Regierung sein, 
den sozialdemokratischen Bestrebungen entgegenzutreten. Man 
wird aber kaum verlangen dürfen, daß sie sich an dem 
Kampf um die Seele des Arbeiters nicht beteilige. Jeden⸗ 
salls läßt sich ein dringendes Bedürfnis auf diesem Gebiete 
nicht in Abrede stellen. Ebenso belannt ist, daß manche 
Bestrebungen für die Lehrlingsheime, Bibliotheken usw. 
trotz großer Opserwilligkeit der beteiligten Kreise oft an 
finanziellen Schwierigkeiten scheitern. Man soll daher das 
Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern lieber ab 
wmarten, was jetzt in der Praxis geschehen wird 
Inland und Ausland. 
Deutsches Reich. 
Der Arbeitsplan des preußischen Abgeordnetenhauses. Nach 
den neuesten Berechnungen hosft man mit dem Etalt 
einschließlich der dritten Lefung bis zum 24. d. Mts. 
sertig zu werden. Vor Ostern sollen dann noch die bis 
irtzt eingebrachten Gesetzentwürfe (Pflichtfortbildungsschulgesetz, 
Feuerbestattungsgeset und die übrigen kleineren Vorlagen) 
in erster Lesung erledigt werden. Die Osterfserien 
will man am 6. April antreten; sie sollen für 
das Haus bis zum 2. Mai dauern; die Kommissionen 
sollen jedoch eine Woche früher zusammentreten, um ihre 
Arbeiten fördern zu können. Ein Wassergesetzentwurf 
wird dann voraussichtlich ebenfalils noch vorgelegt werden; 
die dafür einzusetzende Kommission würde den Sommer 
über iagen. Das vor einigen Tagen dem Hause vorgelegte 
Ausführungsgesetz zum Wertzuwachssteuerge⸗ 
etz soll in die zweite Etatslesung (Gooraussichtlich nächsten 
Sonnabend) eingeschoben werden 
Karl schüttelte ihm in stummer, von Herzen ldommender 
Teilnahme die Hand. „Was ist es denn mit ihm?“ fragte er. 
„Ein Schlaganfall; und ich weiß, er hat Angst und 
Grauen vor dem Tode; er hängt so sehr am Leben. Das 
verschlimmert alles — für ihn und auch für Mutter.“ Ein 
tiefer Schatten lag auf den sonst so sonnigen Zügen. 
„Und deine Geschwister? Sind sie sehr fassungslos?“ 
fragte Karl, nach irgend einer Ableniung suchend. 
Gerhard nahm den Brief, der noch auf dem Tische lag, 
wieder zur Hand und Üüberflog ihn noch einmal. 
„Ja, die Geschwister...“ sagte er langsam. „Da lies 
nur!“ Und er reichte dem Freunde den Brief. 
Karl las denselben aufmerksam durch, enthielt sich aber 
taltvoll jeder Meinungsäußerung. Stillschweigend ging er 
dem Freunde beim Packen zur Hand, sah auf den Fahr⸗ 
plan, der im Zimmer hing, nach den abgehenden Zügen, 
vbersprach, Gerhards Abschiedsgrühe und Entschuldigungen det 
heute sich versammelnden Freundesschar zu übermitteln und 
geleitete ihn dann zum Bahnhoß. 
Wenige Stunden später kam Gerhard auf dem Bahnhof des 
kleinen Städtchens Berne an, von wo aus er hastig der Heimat 
zuschritt. Wie anders war dieser Gang, als der iröhliche 
Wiarsch zur schönen Sommerzeit damals mit Karl, der froh—⸗ 
demut mit ihm in die Ferien ging! 
Unterwegs begegnete er dem Gefährt des Doktors Stumpf, 
des behäbigen, stets wohlgemuten Arztes und Hausfreundes 
der ganzen ländlichen Bevölkerung ringsum. Dieser hielt seinen 
Gaul an und begrühte Gerhard laut und munter, wie es seine 
Gewohnheit war. 
„Gut, daß Sie da sind, junger Mann! Nun muntern 
Sie die Alten nur mal auf, — eben komme ich aus Ihrem 
Hause.“ 
„Wie steht es denn dort?“ fragte Gerhard, den ge⸗ 
spaunten Blick auf das verwitterte Gesicht mit den lebhaften 
Aeuglein darin richtend. 
Der Doltor strich sich den kräftigen eisgrauen Bart, nahm 
die Wetterlappe von dem vollen grauen Haupthaar und rüdte 
sie wieder zurecht. 
(GFortsetzung folgt.* 
Husdigungsad resse der latholischen Prosessoren an den 
Papsft. Die katholischen Professoren sänitlicher 
preußischen Hochschulen bereiten, wie verlautet, eine gemein— 
same Huldigungsadbresse an den Papit vor in Sachen 
des Modernisteneides. 
Dae Kurvpfuscherkommission genehmigte gestern den Re— 
zierungsvorschlag, wonach den nichtapprobierten gewerbsmäßigen 
Heilbeflissenen die Behandlung von Krebskrank— 
heiten verboten wird. 
Zum Etat des Auswärtigen Amts wird die sozial— 
demokratische Fraktion eine Resolution einbrin 
gen, in der die sofortige Anknüupfung von Verhand— 
lungen mit England wegen Einschränkung der 
Rüstungen zu Wasser und zu Lande gefordert wird. 
Jnu der Schiffahrtsabgabenkommiffion wurde am Mitt⸗ 
woch die Beratung über den Rheinstromverband zu Ende 
geführt und noch ausgiebig über das Projekt der Mosel— 
ranalisierung debattiert. Minister v. Breitenbach be— 
merkte, daß die Einbeziehung der Mosel dem Grundge— 
danken der Vorlage entsprechen würde. Heute, Donners⸗ 
tag, soll Aber die die Elbe betreffenden Fragen be— 
raten werden. 
Obligatorischer Fortbildungsunterricht für Großzhandels⸗ 
kehrlinge in Hamburg abgelehnt. Die Einrichtung eines 
obligatorischen Fortbildungsunterrichts für die Lehrlinge des 
ßroßhandels lehnte die SHamburger Bürger— 
schaft mit Stimmengleichheit ab, der Einführung 
eines solchen für den Kleinhandel stimmte sie mit 
zrroßer Mehrheit zu. Der Senatskommissar hatte wäh— 
end der Verhandlungen erklärt, daß der Senat einer solchen 
benfalls zustimmen werde. 
Das amtliche Ergebnis in Giezen⸗Nidda ist folgendes: 
Es wurden insgesamt 23516 Stimmen abgegeben. Davon 
erhielt Krankenkassenkontrolleur Beckmann-Gießen (Soz.) 
976, Oberlehrer Dr. Werner-Butzbach (Wirtsch. Vgg.) 
1958, Pfarrer Korell-Königsstädten (Fortschr. Vpt.) 5059 
und Prof. Dr. Gisevius Matlib.) 2511 Stimmen. Zer— 
splittert waren 12 Stimmen. 
Besteuerung der Zündholzersatzmittel. Infolge Dar— 
niedetliegens der anhaltischen Zündholzindustrie 
wies die Regierung ihren Vertreter im Bundesrat an, für 
Besteuerung der Zündholzersatzmittel und die 
Kontingentierung einzutreten. 
Zur HSebung der heimischen Textilindustrie. Zur zweiten 
Beratung des Etats des Reichsamts des Innern ist von 
Vertretern aller bürgerlichen Parteien im Reichstage der An⸗ 
trag gestellt worden, die Errichtung einer Zentral— 
stelle zur Hebung und Förderung der heimi— 
schen Textilindustrie, insbesondere auch die Prü— 
fung der von dieser erzeugten Rohstoffe, Halbfabrikate und 
Waren in Aussicht zu nehmen und zur Hebung der Produkte 
von Textil-Rohstoffen in den deutschen Schutz-— 
gebieten geeignete Maßnahmen zu treffen. 
Die Lustbarkeitssteuer in Berlin. Der Stadtverordneten⸗ 
ausschuß in Berlin zur Vorberatung der Magistratsvorlage 
über die Einführung einer Lustbarkeitssteuer nahm den Ent— 
wurf in ungeänderter Gestalt mit neun gegen sechs Stim— 
men an. Steuerfrei sollen bleiben Schülerveran— 
taltungen, gemeinnützige Theaterunterneh— 
mungen, desgleichen Tanzunterrichtsstunden. Bei 
Tanzbelustigungen sollen von 1,850 Mezehn Pfen— 
rige erhoben werden, bei 5 Mefünfzig Pfen— 
aAige und dann für jede weitere Mark fünfzehn 
Bfennige. Diese Sätze sollen auch bei Theofernaritollun⸗ 
gen zur Anwendung kommen. 
Die Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung 
in Berlin veranstaltet unter Leitung von Prof. Dr. M. 
Zering zwischen Ostern und Pfingsten ihren XIX. Fort— 
zildungskursus, der in erster Linie für höhere Verwaltungs— 
ind Justizbeamte, sodann aber auch für Angehörige aller 
Berufe bestimmt ist, die eine Erweiterung und Vertiefung 
hrer staatswissenschaftlichen Kenntnisse erstreben. Der Kursus 
vird Mittwoch, den 19. April, 11 Uhr vormittags mit einer 
Rede von Prof. v. Schmoller eröffnet. Die Fachvorlesungen 
behandeln Fragen der allgemeinen Verwaltung, der Welt— 
and Volkswirtschaft, der industriellen und landwirtschaftlichen 
Drganisation und Technik. Studienpläne versendet kosten— 
frei die Geschäftsstelle, Behrenstr. 70. 
Die Einführung der fteien Arztwahl in der Armenpflege 
der Stadt Berlin war in der letzten Sitzung der Armen— 
Theater, Kunst und Wissenschaft. 
Lübeck, 16. März. 
24. volkstümliches Konzert 
in der Stadthalle. 
In Abwesenheit unseres ständigen Musikreferenten wollen 
vir über das volkstümliche Konzert am Mittwoch, das der 
Kaiserliche Musikdirektor Walter Unger, Met,z, leitete, kurz 
herichten. 
Auf die sonnige Ouvertüre zu „Figaros Hochzeit“ folgten 
ber 1. und der 4. Satz der Sinfonie Bmoll von Brahms 
dier war Herrn Unger gute Gelegenheit gegeben, eigene Auf—⸗ 
sassung und Beherrschung des Orchesters zu zeigen. Uns schien, 
die Musiker folgten ihm gern und gingen auf alle Feinheiten 
der Dynamik und des Rhythmus verständnisvoll ein. Das 
Konzertstück von DTemersemann spielte der Solist des Abends, 
zerr Flötist Wunderlich, mit der ganzen Virtuosität, welche 
ie kleine Sache fordert und deren wir bei dem geschätzten 
Künstler gewohnt sind. 
Der erste Satz der 7. Sinfonie Edur von Anton Brudner 
ührte für unseren Geschmack das Hauptwort des Abends und 
mis war die Wiedergabe Ungers recht sympathisch. Daran 
schloß sich das Siegfriedidyll. Die Préludes von Liszt sind 
wohl so ungefähr das meistgehörte Stüch deutscher Programm⸗ 
musik, sie bieten freilich dem Dirigenten sehr dankbare Auf—⸗ 
zaben. 
Den eigentlich volkstümlichen Teil eröffnete die hier häufig 
gehörte melodiöse Ouvertüre zu „Alessandro Stradella“. Griegs 
Peer⸗Gynt⸗Suite, sehr graziös dirigiett, erfreute sich natürlich 
illgemeinster Gunst und die „Rosen aus dem Süden“ zeigten 
Herrn Unger als etwas erniten Walzerdirigenten. 
Die Aberaus zahlreichen Besucher — das Haus war voll⸗ 
ständig ausverkauft — kargten nicht mit ihren Beifallsbezeugun⸗ 
gen, obgleich das Programm eigentlich nicht sehr volkstümlich 
war. P. 
tzatcchahctedcetduet cMu VOæαäα 
d. Die Berliner Erstaufführrung von,Glaube nud Heimat“ 
im Lessingkheater trug alle Kennzeichen eines starken ehrlichen 
Eriolges. Es hat lange gewöährt, bis Schönherrs Tragödie 
zirektion Gegenstand längerer Beratung. Ver vVerein der 
reigewählten Kassenärzte hatte sich in einer Petition um 
versuchsweise Einführung der freien Arztwahl in einem neuen 
Medizinalbezirk an den Magistrat gewandt. Die Armen— 
direktion hat nun nach längerer Debatte fast einstimmig be— 
schlossen, von der Einführung der freien Arztwahl Abstand 
zu nehmen. 
Die Abänderung der Gebührenorduung der Rechtsauwälte. 
Vor einiger Zeit hatte ⸗»die Regierung den Anwaltskammern 
Fragen zugesandt, in denen um Aeußerung über die 
zöhe des Einkommens der Rechtsanwälte usw. 
rsucht worden war. Die Kammern hatten die Frage nicht be 
antwortet und erklärt, daß sie nicht geeignet seien, hin— 
reichendes Material zu bieten, das statistisch für die ge— 
plante Erhöhung der Gebühren in Betracht kommen 
könnte. Da das Reichsparlament aber an einer Vrüfung 
und Erhöhung der Gebühren für Rechtsanwälte festhält, 
so sind nunmehr laut Inf. die Bundesregierungen um Bei— 
bringung entsprechenden statistischen Materials seitens der 
Reichsregierung ersucht worden. Die Präsidenten der 
Dberlandesgerichte in den einzelnen Bundesstaaten seien 
zu gutachtlichen Aeußerungen aufgefordert worden, 
die sich auf eine Erhöhung der Gebührensätze be— 
ziehen und deren Umfang feststellen sollen. Es handele sich 
m wesentlichen nur um eine Abänderung des 89 der Ge— 
hührenordnung für Rechtsanwälte. Es sei zu erwarten, daß 
die Rückäuherungen der Bundesregierungen nicht lange auf 
sich warten lassen werden. Nach dem Eingang werde an 
eine Ausarbeitung einer neuen Gebührenordnung bei der zu⸗ 
tändigen Behörde herangegangen und dem Reichstage eine 
entsprechende Vorlage gemacht werden. 
Vorbereitungen zu den Reichstagswahlen. Im 14. württem⸗ 
bergischen Reichssstagswahlkreis (Ulm-Heidenheim), ge⸗ 
genwärtig vertreten durch den auf Wiederwahl verzichtenden 
ßortschrittlichen Abg. Storz, wurde von der national— 
liberalen Partei Handelskammersekretär Dr. Kehmm als 
Kandidat aufgestellt. 
Im 23. sächsischen Reichstagswahlkreis (Plauen- 
Oelsnitz), gegenwärtig vertreten durch den sortschritt— 
ichen Abg. Oskar Günther, ist von nationalliberaler 
Seite Fabrikant Stadtrat Julius Graser als Kandidat 
aufgestellt worden. 
Der von den Nationalliberalen im Wahlkreise 
Göttingen als Reichstagskandidat ausfgestellte Bahn— 
schlosser Gustav Ickler ist Vorsitzender des Karells deut— 
cher Staatsarbeiterverbände, dem die Kandidatur Icklers 
WUr den Nationalliberalen nicht genehm zu sein scheint, denn 
eine Konserenz des Kartells der Staatsarbeiterverbände 
in Hannover beschloß, Herrn Ickter aufzufordern, entweder 
seine Reichstagskandidatur niederzulegen oder vom Vorsitz 
im Kartell der deutschen Staatsarbeiterverbände zu— 
rückzutreten. 
— — 
Tagesbericht. 
Lübeck, 16. März. 
Eine Versammlumg der Bürgerschaft findet am Freitag, 
dem 24. d. M., abends 8 Uhr, ilatt. 
Vortrag in der Gewerbegesellschaft. Da die Bodeutung 
der Internationalen Sygiene-Ausstellung Dresden 1911 von 
Tag zu Tag mehr in der Oeffentlichkeit erörtert wird, 
ist es erfreulich, daß sich in unserer Stadt ein Verein ge— 
funden hat, der es sich zur Aufgabe machte, seinen Mit— 
gliedern und, weiteren Kreisen bereits vor der Eröffnung 
der Ausstellung einen Begriff von dem werdenden Weli— 
unkernehmen zu geben. Gestern abend sprach auf Ver— 
anlassung der Gewerbegelellschaft im Konzerthaus Fünf— 
hausen Herr Lehrer W. Westphal senr. über die Be— 
deutung der Internationalen Sygiene-Aus— 
tellung Dresden 1911 in einem 13tündigen Vortrag, 
der durch Lichtbilder reich i.lustriett wurde. Der Vortragende 
hegann mit einem Ueberblich über die eige nartigen Wand— 
lungen, die die Hygiene seit dem frühesten Altertum bis 
auf den heutigen Tag durchgemacht hat. Es war interessant 
zu vernehmen. wie 3. Zt. der alten Aegypter, Inder 
und Juden, z. Zt. der griechischen und römischen Kultur 
ygienische Grundsätze gepflegt wurden, um die wir modernen 
tulturmenschen die alten Kulturen in gewissem Sinne be— 
zeiden können. Als der Hauptzweck der Ausstellung ist 
eine umsassende hygienische Auftlärung anzusehen, die in 
—— 
den Weg nach Berlin gefunden hat; man hätte meinen können, 
die Theaterdirektoren fürchteten jich davor, das Urteil des Ber— 
liner Premierenpublikums über ein Stück herauszufordern, das 
den Kampf der Meinungen einst so laut erschallen ließ. In— 
zwischen sind jene Spötter und Zweifler immer einsamer ge— 
worden, und die verfängliche Frageparole jenes Berliner Kri— 
tikers: „Kitsch oder Kunstwerk?“ ist von den frohen Sieges— 
rusen von Stadt zu Stadt übertönt worden. So wehte auch 
borgestern im Lessingtheater andere Luft, als man sie von den 
Bremierenabenden her gewöhnt ist. Nicht um zu entscheiden, 
ondern um zu schauen, war man hingegangen. Die vorzügliche 
Inszenierung und das sehr gute Spiel trugen zur festlichen Stim— 
mung wesentlich bei, wenn man auch manche dialektische Ent— 
gleisung mit in Rauf nehmen mußte. Emanuel Reicher als 
Altrott und Mathilde Sussin als Rottbäuerin ragten durch ihre 
innerliche, schmerzlich verhaltene Tarstellung hervor. Daß das 
operettenhafte Landsireicherpaar gestrichen murde, erhöhte die 
Einheitlichkeit der Wirkung sehr vorteilhaft. — Mehr als zwanzig— 
mal mußte Schönherr den jubelnden Hervorrufen am Schlusse 
der Aufführung Folge leisten. Ob der Erfolg ein Vierteljahr 
früher auch so herzlich gewesen wäre? 
d. Goethes „Faust“, II. Teit, im Deutschen Tüeater zu 
Berlin. Der zweite Teil von Goethes „Faust“ ist. Mittwoch, 
wie schon telegraphisch am Tonnerstag morgen be— 
richte, im Deutschen Theater in Szene gegangen. 
Nachmittasts um 4 Uhr begann die Vorstellung. 
Wer ein besonders auserlesenes Publilum vorzufinden glaubte, 
sah sich getäuscht. Geheimrat Erich Schmidt, Professor Humper— 
dind, der Bürgermeister Reicke, die bei Reinhardts Premieren 
mmer zu sehen sind, waren zugegen. Prinz und Vrinzessin 
August Wilhelm erschienen mit Gesolge in den ersten Parkett— 
reihen. Die Darstellung und die Tinrichtung des „Faust“ ent⸗ 
sprach keineswegs deni, was man erhofft hatte. Reinhardt hatte 
auf Ausstattungsprunk und alle Tekorafionswunder verzichtet 
— und doch läßt sich gerade hier nicht darauf verzichten. Im 
zweiten Teil des „Faust“ ist viel Gerank, das die Handlung 
umschlingt und einengt. Der vose Zusammenhang der Hand⸗ 
lung ermüdet, wenn nicht dem Auge bunte Weide geboten wird 
Von den 108 Mitwirkenden ragte Bassermann als Meyphisto 
mit diabolischem Humor hervor. Kayßtler lag der Grübl«
	        
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