Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

323. F 
Deutscher Reichstag. 
147. Sitzung. M 
Berlin, den 14. März 
Am Bundesratstisch: Staatssekretär Dr. Delbrück. 
Die Spezialberatung des 
Etats für das Reichssamt des Innern 
wird fortaesetzt und die allgemeine Debatte beim Gehalt des 
Stagtssetretürs wieder aufgenommen. F 
Abg. Hanssen (Täne) schließt sich hinsichtlich der Kritik der 
handhabung des Reichsvereinsgesetzes den Darlegungen des Abg. 
Dr. Prüller-Meiningen an und hringt eine Anzahl von, Fällen 
oarteiischer und ungerechter Handhabung dieses Gesetgzes 
gengenüber der dänischen Bevölkerung in Nordschleswig vor. 
Trotz entgegenstehender Entscheidungen des Reichsgerichts hielten 
gie preustischen Behörden auch in den höheren Instanzen an einer 
Auslegung des Gesetzes fest. die man nur als ungesetzlich be⸗ 
eichnen könne. Gans besonders charalteristisch sei in dieser Be⸗ 
jehung das Verbot der Exteilung von Turnunterricht an jugend⸗ 
iche Personen, wenn nicht ein besonders auf Grund alter preußi⸗ 
cher Kabinettsordres von 1834 verlangtes amtliches Attest für die 
Befähiauug aur Erteilung von Turnunterricht vorgezeigt werden 
öune. (Die Einzeldarstelluna des Falles wird von dem Biaze⸗— 
wäsidenten Dr. Spahn als nicht aur Sache gehörig bezeichnet.) 
Das Reichsgericht habe festgestellt, daß für die Erteilüng von 
Turnunterricht an schulentlaffene junendliche Personen nicht das 
Auterrichtsministerium auständig sel, sondern daß hieranf ledig— 
ich 8 35 der Gewerbe-Ordnuug Anwendung finde. Er geht 
dann, auf einen anderen Fall ein, in dem eine sunge Dame wengen 
desselben angeblichen Delikts au 200 Geldftrafe verurieili und, 
veil sie nicht zahlen konnte, in das Gefängnis zu Tondern abge⸗ 
ührt worden sei. Guch hier wird die Einzeldarlegung vom 
Vizepräsidenten Dr. Spahn als nicht hierher gehörig. sondern 
u das Justizressort fallend bezeichnet.) Redner bricht, hierauf feine 
Lrörterungen ab, indem er den Staatssekretär erfucht, dem Fall 
eine Aufmerksamkeit zuzuwenden und der Maieftat des Giesenos 
lchtum au verschaffen. 
Abg. Hauser (Itr.) verwendet fsich für die Zulassung auch 
er kleineren elektrotechnischen Installateurfirmen bei der Her— 
tellung von Ueberlandzentralen, damit nicht den Groß— 
irmen ein Monopol auf diesem Gebiete zufalle Für den 
Pittelst and, müsse endlich etwas Vositives geichehen, lange 
enug Jei der Bundesrat jebt mit Erwagungen beschäftiät. In 
dieser Richtung sei zunaͤchst entsprechend der Resolution v. Hert 
ina dem Reichstage ein Gesetz vorzulegen, das die Vorfchriften 
ex Gewerheordnung über Wanderlüger und Warenauttivnen er— 
eblich verschärft. Es müsfe für die betreffenden Waren ein Ur— 
brungszeuanis verlangt, es müsse ferner die Wanderlaneritener 
xheblich erhöht werden. Der heimliche Warenhandei, der das 
tehende Gewerbe ganz bedeutend schadige und degen den auch 
Petitionen vorlägen, müffe durch energische Vafsnahmen imter 
rückt werden, wie, es ebenfalls die Refsolution Hertling fordere. 
Ferner liege von seiner Partei ein Nutrag Gröber vor wehen 
borlegung eines Gesetzenswurfs auf vendermig der Gewerre, 
Ordnung über Detailreifende und Haufierer nach der Richtung, 
aß die Einzelstaaten ee ihrer Verhältnisse weitergehende 
Einschränkungen treffen können. Besonders in Suddentschland 
eien solche Einschränkungen notwendig, (Zustimmung im Zen— 
rum) Die Hausierer machten den kleinen Kaufleuten und der 
heimarbeit eine unheilvolle Konkurrenz. GBeifall im Zentrum) 
Abg. Graf Kanitz (kons.): Wenn so weiter geredet wird wie 
eitens des ersten Aufgebots der Redner, so wird der Wunsch des 
Staatssekretärs, sein sauer verdienles Gehalt noch in diefer Worche 
u erhalten, kaum in Erfüllung gehen. (Heiterkeit) Ich be— 
chränke mich aui ein enges Gebiet. Der Abg. Stresemaunn hat 
gestern gesagt. daß die nationalläüberale Partei ein— 
timmig der Landwirtschaft den nötigen Zollschut gewähren wole. 
diese Bemerkungen stehen in wohltnendem Gegensatz zu den 
leußerungen des freisiunigen Redners, des Abg. Dre Wiemer, 
»or 3 Monaten. Zwischen dem Programm des Abg. Wiemer und 
dem des Abg. Stresemann scheint mir eine mmiberbrisckbare Kluft 
u bestehen. Trotzdem hoffe ich, dagß die sreisnnnige Partel sich 
)em Standpunlt des Abg. Stresemaunn nähert, damit die Buͤrger 
ichen bei den nächsten Reichstagswahlen zufammengehen können. 
Heiterkeit.) Gegen die Forderung des nationalliberalen Antrags 
nif Einführung eines Reichspetroleummonopois würden wir uns 
nicht ablehnend verhalten. Dieser Gedanke ist nicht neu. Ich 
elhst habe vor Jahren einen gleichen Antrag inbegzug auf den 
vetreidehandel eingebracht. Leider ist er abgelehnt worden. Im 
Jahre 1827 hat Herr Bassser mann hier eine Interpellatton 
eingebracht, die sich in gleicher Linie bewegte wie die jeßige Re— 
olution der nationalliberalen Partei. Herr Bassermann hielt 
damals eine lange Rede. Ich habe sie und die Antwort des 
Ztaatssekretärs Grafen Posadowwski durchzulesen nicht Zeit ge— 
zabt. Ich selbst habe mich sehr dringlich für eine Emanzipativn 
von der Standard Oil-Companny eingesetzt. Ich habe 
erwiesen auf das Gutachten einer Kommission, wonach euro— 
zäisches Petroleum durchaus geeignet ist, das amerikanische 
Petroleum zu ersetzen. Die jetzige Resolution Stresemann ist 
twas präziser gefaßt als die damalige Interpellation. Fraglich 
st es aber, ob es gut ist, eine solche Resolution hier öffentlich 
vor aller Welt zu diskutieren. Die Außenwelt müßte von den 
borbereitungen zu einem solchen Monopol nichts erfahren. Ich 
gnn es deshalb auch nicht billigen, daß der Abg. Stresemann den 
Slaaissekretar aufgefordert hat leine Karten offen darzulegen. 
Ich möchte nun den Staatssekretär auf gewisse Vorgänge auf 
dem Gebiete des Bankwesens hinweisen, auf den Schaden, 
der durch den Zusammenbruch vieler Banken hervorgerufen 
vorden ist. Ich habe eine Liste vor mir, die 858 Bank—⸗ 
zusammenbrüche seit 1901 aufweist. Wieviel von den 
o verloren gegangenen Summen auf Depots fallen, ist schwer 
zu berechnen. Ein Herr Salomonskli hat auf dem Bank- 
age in Hamburg 1907 die Verluste bei Depots auf 
24 Millionen geschätzt, das würde allerdings kaum J pgt. sein. 
In den meisten Fällen hat es sich da um betrügerische Manipu— 
atioucni der Bankleitung gehandelt; wertlose Effekten wurden 
ahrelang durch die Bilanzen geschleppt, und bei der Frankfurter 
—RV e eedt daß die als Unterlage dienen⸗ 
den Hybvotheken wertlos, ja, zum Teil bei Subhastationen bereits 
ausgefallen waren. (GGHört, hört!) Die Frankfürter Vereinsbank 
wvurde nemn Dezember 1910 durch einen vereideten Revifor der 
dresdner Bank revidiert, der zu dem Ergebnis kam, daß 1,9 
Millionen der Effekten wertlos seien; bald darauf sand eine noch⸗ 
nalige Revision statt durch einen Revisor der Treuhandvereini⸗ 
jung, und dieser fand, d Us, sondern Millionen Effelten 
vertlos waren und abgeschrieben werden mußten; Aktienkapital, 
Reserven und 20 p8t. der Depots waren nach seiner Meinung ver⸗ 
uren. Ganz neuerdings aber haben wir erfahren, daß nicht WV, 
ondern 50 bis 60 pgt. der Depots verloren sind. Also auch diese 
sirvifiorren bieten absolut keine Sicherheit. Gehen wir der Sache 
auf den Grund, so finden wir, daß immer wieder Leichtglä n⸗ 
bigkeit und Unerfahrenheit des Publikums die 
Zauptschuld an diesen Kalamitäten tragen. Trotzdem es so viele 
ichere Staatspapiere gibt, fallen die Leute immer wieder in die 
hande von Spekulanten, die ihre Unerfahrenheit anszunutzen 
vissen und, um einen möglichst weiten Wirkungskreis in diesem 
Sinne sich zu schaffen, auch die kleinsten Landstädichen mit Filialen 
nund Agenturen gusstatten; ich nenne nur Driesen, Zossen, Wriezen 
isw. usw. Die Bankenqueéte von 1908 hat sich mit der Frage einer 
—V—— 
wurde die deae — 
darauf hat der Reichstäg 1909 eine Resolution angenommen, die 
eine solche gesetzliche Regelung verlangte, und die Bankenquete, 
die im Herbst 1909 wieder zusammentrat, halle eine ganze Menge 
von Spezialvorschlägen zu diskutieren. Gegenüber dem Hinweis 
nuif England wurde erwähnt, daß Geheimrat Feset in seinem 
Buch, über die Entwicklung des Bankwesens gezeigt Tat, daß Eng⸗ 
and durch sein Depositengesetz auch nicht vor großen Bankbrüchen 
geschüitzt gewesen sei, und man glaubte, das englische Beispiel nicht 
aachahmen zu sollen. Es wurde dann vorgeschlagen, ein gewisser 
Prozentsatz der Depositen sollte in bar bei der Reichsbank depo⸗ 
niert werden; man konnte sich aber nicht über die Höhe des Satzes 
inigen. Dann sollte ein Teil der Depositen, etwa ¶ pZt., in 
Primawechseln gedeckt werden; aber da Ine es wieder an ge⸗ 
nauer Definition des Begriffs gZzrimawech el. Man empfahl dann 
ie Veröfsentlichung der Zwischenbilanz ünd schließlich die Errich⸗ 
ung einer Zeutralkontrollkommission für das Bankwesen; dieser 
etztere voeg des Herrn Roland 7 wigeteilten Beifall. Es 
ollie eine Köommission aus cwa 20 Nitaliedern bestesst werden 
wovon ein Vrittel vom Reichsstage zu wahlen pare. Die Kom— 
nission sollte alles Monate zusammentreten und nicht bloß Gut— 
ichten zu erstatten, sondern auich aus eigener Initiative mit Re— 
pisionen vorzugehen haben. Sehr populär würde eine solche Kom⸗ 
mission wohl nicht geworden sein. Der Vorschlag der Veröffent- 
lichung von Zwischenbilanzen ist ja so weit gediehen, daß sich die 
zroßen Banken über ein einheitliches Bilanzschema geeinigt haben 
ind danach alle zwei Monate Bilanzen veröffentlichen wollen. 
Rur die Berliner Handelsgefellschaft hat sich bis jetzt ausge⸗ 
chlossen. Aber ein Radikal-Mittel ist diese Bilanzveröffentlichung 
ruch nicht, da unter 10000 noch nicht einer eine Bilanz lesen 
ann. Das Publikum sollte sich selbst dadurch schützen, — es 
ich nicht leichtsinnig durch hohe Zinsen blenden läht. Die baldige 
kinrichtung der erwähnten Kommission wäre aber sehr erwägens- 
vert. Aungesichts der Verheerungen der neileren Bantbrüche sollte 
ein Mittel, unversucht bleiben. Schäffle hat gesagt, die Börle 
vwird zum Grabe zahlreicher Familienvermögen mit Hilfe des ge— 
etzlichen Diebstahls in, gröszter Ausdehnung. Diese Worte passen 
vesser auf die dee als auf die Auswüchse des Bankwesens, auf 
die zweifelhaften Bankinstitule, mit denen wir es hier zu tium 
haben., Diejsen mit allen Mitteln zu Veibe zu gehen, ist eine der 
wichtiasten Aufgaben der Gesetzgebung. (Lebh. Beifall rechts.) 
Abs. Soch-Hangau (Soze): Die soßzialpolitische Debatte 
vird hente dadurch gekennzeichnet, daß die Mehrheitsparteien bei 
»en Wahlen Rechenschaft über das Geleistete zu geben haben. 
Benn wir Aunträge gestellt haben, die für die bürgerlichen Par— 
eien unannehmbar sind, so spricht das nur für uns. Das Wesent- 
ichste an den Erklärungen des Staatssekretärs ist, daß das Ar- 
»eitskammergesetz nicht Gesetz werden wird, weil die Regierung es 
mn brauchbarer Form nicht will. Aehnlich ist es mit der Sozial- 
olitik der Parteien. Wir vertreten eree Forderungen, zum 
Teil altes Gewohnheitsrecht. Die Auflösungen unserer 
zugendorganisationen beruhen auf Ausnahmegesetzen 
egen die Arbeiterschaft. Wir haben die myralische Pflicht, die 
Jugend aufzullären. achen rechts, sehr richtig! links. Gegen 
insere Leute wird jeder Terrorisnus ausgeübt, sogar gegen 
Internehmer, die einmal die Forderungen der Arbeiter bewilligt 
‚aben. Für den einzelnen Arbeiter geschieht sehr wenig; went 
er vielleicht auch vor dem Verhungern geschützt ist, so muß er doch 
ungern. VBizepräsident Dr. Spahn bittet den Redner, nicht zu 
ehr ins Einzelne zu gehen. Für die Privatbeamten ist 
ogar garnichts geschehen und wird auch von diesem Reichstag 
ichts getan werden. Auch gegenüber den Staatssekretär behaupte 
ch, daß der Reichstag seine Versprechungen nicht gehalten hat. 
jestimmend ist mehr und mehr das Anwachsen der Großbetriebe 
nd des Großkapitals geworden. Was kann dagegen geschehen? 
erstaatlichen? Nein, denn der Staat ist heute nichts als 
Rrganeder Ausbeuter. (Eört, hört! links. Darum hat 
uch der Staatssekretär kein Wort über das Verhältnis der Re— 
ierung zum Zentralverband der Indnstriellen zu sagen gewaat. 
das Eyndikat ist der Herr, die Regierung ihr Commis. Diese 
knechtschaft wird allmählich auch vom Mittelstand erkannt, noch 
iel arößer ist die Ausbeutung der Arbeiterschaft. Auf ihrem 
clend beruhen die 4 Milliarden, die jährlich bei uns erspart 
ꝛerden. Wir wollen der Arbeiterschaft helfen und deshalb werden 
vir einmal siegen, zum Segen der Kultur des Vaterlandes 
Bravo! bei den Soz.) 
Staatssekretär Dr. Delbrück: Der Vorredner hat bemerkens- 
vert gefunden, was ich gestern n icht gesagt habe. Ich war ge⸗ 
panut, was das sein könne und höre nun, das sei unser Ver⸗ 
Fältnis zum Zentralverband, Der Abg. Fischer schloßz 
— — 
Ministern gesessen habe. GGeiterkeit.) Das widerspricht sich 
elbst, weil grade Herr Bueck sich sehr abfällig über die Sozial⸗ 
olitik der Regierung ausgesprochen hat. Wir gehen doch nur so 
veit in unseren Auffassungen auseinander, was wir für unsere 
Arbeiter tun können oder nicht tun können. Darin sind wir aber 
alle einig, daß wir an der wirtschaftlichen und kul— 
urellen Hebungdes Arbeiters Interesse haben, auch 
die Parteien, mit denen wir sozialpolitisch zusammenarbeiten. 
Was hier bisher geschehen ist, ist nicht von Ihrer (zu den Soz.) 
Zeite geschehen, sondern von den anderen Parteien und der Re⸗ 
zierung. ESehr richtig! rechts und in der Mitte, Widerspruch 
uind Unruhe bei den Soz.) Diese Sorge ist unsere erste Pflicht; 
ein gutgelohnter Arbeiter ist das Beste und Wertvollste, was 
uinsere Wirtschafts- und Kulturpolitik haben kann. Wenn Abg. 
doch sagte, diese Kultur des Arbeiters sei zu hoch gestiegen, um 
ie rückgängig zu machen, so frage ich, wo ist diese Kultur her, 
varum erfreut sich der deutsche Arbeiter einer höheren Kultur als 
mdere, seiner Bildung, seiner Propaganda als von dem — un⸗ 
igennützigen Staate? rshenp und Lachen links. Lebh. 
Bravo! rechts.) Das ist oft, 4 von Geguern zugestanden 
vorden, auch von solchen unserer Polenpolitik, die ähnlich gewirkt 
at. Das Maß von Bildung, die Möglichkeit zu lesen und zu 
chreiben, Zeitungen zu lesen und zu bedienen, technische Voll⸗ 
mmenheitf, die Fähigkeit, wissenschaftliche Probleme zu ver— 
ehen — alles das ist zurückzuführen auf die Fürsorge desStaates. 
Zehr richtig!) Ein Zeichen der Unbefangenheit, mit der das Reich 
id selbst das angefochtene Preußen seine Kulturaufgaben anfaßt. 
as beweist auch der außerordentliche Fortschritt der breiten Massen 
es Volkes. Es ist eine Legende, daß das Ihr (nach links) Werk war, 
s ist das Werk der Bundesstagten und des Reiches. Wir haben 
urchaus freiheitliche Einrichtungen, wie das libe— 
ale, Vereinsgesetz es beweist. (Lachen bei den Soz.) Einzelne Miß— 
zriffe sind ganz selbstverständlich. Herr Hoch meint, ich hätte mich 
zahin ausgesprochen, man solle gegen die Syndikate deen 
richt vorgehen, sondern der Entwicklumg freien Lauf lassen; er meint, 
dies sei zurückzuführen auf die völlige Sklaverei, in der wir uns 
um odin und zur G pe befanden. (Zuruf vechts: 
Und der Junker! Heiterkeit.) Das hat er zwar nig gesagt. (Heiter⸗ 
eit.) Wir sind genötigt, die Dinge in einer dem Wohle des Ganzen 
ingemessenen Richtung vorwärts zu schieben. Dies dürfen wir nicht 
un, indem wir in alle Dinge hinoinregieren. Wir müssen darauf 
ichten, daß die e in den einzelnen Vollsteilen nicht zu 
zroß werden; sonst hört die Meren der freien Entwicklung auf, 
zicht bloß in wirtschaftlicher Beziehung, sondern auch des Ider 
»uums. Die Bora besepunß unserer wirtschaftlichen 
Futwicklung ist die Freiheit des Individuums und 
richt sein Untergehen in der Herrschaft der Massen. 
Sehr gut!) Ich bin von niemand abhängig, ich bin bestrebt, mein 
veschäft so zu führen, wie ich es für nützlich und notwendig halte. 
Ich bin auch überzeugt davon, daß politische Differenzen mich nicht 
sindern können, mich mit jedermann an einen Tisch zu setzen, dazu 
in ich nicht einseitig genug. Ich erkenne an, was unsere Industrie 
ür unsere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung bedeutet. Ich 
perde die Industrie ebenso zu fördern suchen, als alle anderen unter 
nein Ressort fallenden Zweige des kulturellen Lebens. haftes 
zravo!) Da ich das Wort e noch einige kurze Bemerkungen zu 
en Erörterungen des Grafen Kanitz. Die unerfreulächen 
zorkomimnifsse, die er erörterte der Zusammenbruch 
er Niederdeutschen Bant und der Frankfur— 
er Vereinsbank sind beirde von uns 
nit der größten Aufmerksamkeit verfolgt worden. 
Zie haben uns Vergnlassung gegeben, no cheinmal alle diejenigen 
krörterungen und Wünsche vor unserem geistigen Auge vorüber— 
iehen an lassen, die die Bankenquete und speziell die letzte Ver⸗ 
andlung im vorigen Herbst gebracht haben. Aus den Darlegun⸗ 
sen des Grafen Kanitz kann ich zunächst als erfreulich feststellen, 
»aß man allerseits von dem Gedanken abgekommen azu sein scheint, 
ine Trennung der Kredit- und Depositenbauken vorzunehmen. 
Daß Graf Kanitz unsere Auffassung darin teilt, daß es mit der 
danaen Entwicklung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse für ab— 
ehhare Zeit nicht wohl vereinbar sein würde, einen Schnitt nach 
englischem Muster zu machen. Wir haben uns aber überlegt, ob 
nicht die Vorkommnisse bei der Niederdeutschen Bank und der 
krankfurter Vereinsbank zurückzuführen sind auf Mängel in 
inserer Gesetzaebung im Altienrecht, Strafrecht, Konlursrecht und 
vas dergleichen mehr ist. Die gerichtlichen Untersuchungen sind 
ioch nicht abgeschlossen, abex es ist doch zweifellos erwiesen, daß 
diese beiden Zusammenbrüche nur möalich gewesen sind, infolge 
riner Kette von unredlichen Handlungen der Leiter und gegen 
derartige unredliche Handlungsweisen kann man sich durch ein 
Besetz nicht schüitzen. Solche Unredlichkeiten festaustellen, wird 
natürlich umso schwieriger, je größer, und komplizierter eine Ein— 
ichtung ist. Es ist sehr charakteristisch, daß in beiden Fällen es 
rst ganz allmäblich gelungen ist, sich ein Bild von dem Umfange 
er hetrügerischen Handlungen zu verschaffen, die jahrelang in 
ex Leitung, dieser Banken möalich gewesen sind. Die Treuhand— 
gesellschaft, die die Verhältnisse der Riederdeuischen Bank geprüft 
hat. hat z2unächst ein qnstigeres Risft Uber den Stond der Gas 
ellschaft gewonnen, als es sich shliekttch nach mongtelanger Arbe 
ind unter Zuhilfenahme von Praktikern und Sachverständigen ir 
troßer Kahl darbot. Gegen die Unredlichkeit au sich ist kein Krau 
ewachsen. Wir haben erwogen, ob man etwa nach englischem 
Ruster nicht Revisoren für die Aktienbanken anstellen soll. Wir 
ind aber zu dem Ergebnis gekommen, daß dies für unser Aktien— 
echt nicht passen würde. Vor, allem sind ia die Generalversanm— 
ungen schon jetzt in der Lage, derartige Revisoren zu bestellen und 
in großer Teil der Banken verfüat schon jetzt über solche Re— 
isionsorgane in großem Umfange. Aber gerade die Erfahrunng, 
ie wir mit diesen Banken gemacht haben, haben in uns die Ueber— 
eunguug begründet, daß das Bestellen von Revisoren nicht in der 
age sein würde, geschickt vornenommene Unredlichkeiten rasch auf— 
udecken. daß es aber wohl geeignet seln würde, lediglich durch 
hre Existenz, die Aktionaäͤre und das Publikum in elne unbe, 
ründete Sicherheit über die Verwaltung der Banken einzuwiegen. 
un ist zweitens, auf der Bankenquete die Frage erörtert, ob man 
inen Bantkbeirat oder Bankausschuß bilden solle. Auch diese 
Frage ist von mir in allerlester Zeit noch einmal zum Gegenstand 
einnehender Verhandlungen, gemacht. Wir sind auch hier zu den 
Ergebnis gekommen, dak diese Einrichtung nicht gecignet fen 
würde, aergde dieienigen Mängel zu beseitigen, die Graf Kanit 
beseitigt wissen möchte. Ein derartiger Bankausschuß würde 
hwerlich in der Lage sein, im geeigneten Moment einzelne 
Banken herauszugreifen und hinreichend eingehend, zu prüfen. 
Aber seine Existena würde das Publikum noch leichtsinniger 
nachen, als es ohnehin ist, und schließlich würde der Bankaus— 
chuß eine Verantwortung auf sich nehmen, die er zu tragen autzer 
Stande ist. Ich behalte mir vor, über diese wichtige Frage im 
Laufe der Erörterungen eventuell noch den Reichsbankpräsi— 
denten selbst au Worte kommen zu lassen. Ich wollte nur 
feststellen, daß wir an den Mängeln, die Graf Kanits beklagt 
— 
Abg. Wielaund (fortschr. Vp.): Die konservativen Bestrebun⸗ 
gen können dem Handwerk kaum viel nützen. Aehnlich liegt es ja 
auch in anderen Ländern. Die Verhältnisse im Handwert 
haben sich wohl geändert, wenn auch gerade kein Redergang zu 
onstatieren ist. Die Zahl der mittleren Handwerksbetriebe hat 
ich nicht unwesentlich gesteigert. Dennoch wirkt die neuzeitliche 
Entwicklung, * die Konkurrenz ungünstig, ebenso wie die 
Bertenerung der Rohmaterialien und Tebensmittel. Die Hand⸗ 
verkskammern haben mit einigen Maßregeln segensreich ge— 
virkt, z. B. dem kleinen Befähigungsnachweis, der die sungen Leutt 
um Lernen zwingt. Der große Befaͤhigungsnachweis dagegen 
st, wertlos; dem Handwerk dient, wer ihm Bewegungsfreiheit 
üßt. Sehr richtig! links.) Den heutigen Geldverkehr und die 
echnischen Fortschritte muß sich das Handwerk zu eigen machen. 
dandwerk und Fabrik, aber auch das Handwerk in der Stadt uͤnd 
as auf dem Lande muß anders bewertet werden. Die Zwangs 
acke der Innungen können wir nicht brauchen. Für das 
Handwerk empfiehlt sich die Selbstversichernug. Bei Fleiß, Spar 
amkeit und sachgemäßer Ausbildung kann fich das selbständige Ge⸗ 
verbe immer noch halten. Von einem völligen Stillstand der 
ozialen Gesetzgebung ist keinesfalls die Rede. Neben den Ein⸗ 
eichtungen des Reichss wird vieles in dieser Hinsicht sonst noch ge⸗ 
leistet, in erinnere an die privaten Alters, und Invalidenversor⸗ 
gungen, an die Schulen, die Kaufmanns⸗ und Gewerbegerichte, 
die Arbeitsnachweise usw. Für die gerechte Förderung aller Ein ⸗ 
richtungen im Interesse des gesamten Volkes find wir stets einge⸗ 
treten, nicht bloß in der Blockzeit, allerdings find immer für uns 
eee nicht personuche Gründe maßebend aeme sen Giet 
all links. 
Abg. Frhr. v. Gamp (Reichsp., mit einem Zuruf von der 
dinken empfangen): Leider Fahz Sonnabend abend verhindert 
jewesen, hier zu sein. Sie wissen aber auch, daß man von Reichs- 
agsreden allein nicht leben kann. Dr. Muͤller⸗Meiningen verlegt 
eine Frühstückspause in die Zeit, in der ein Konservativer spricht. 
Glocke.) Präfident: Das hat aber mit dem Gehalt des 
Staatssekretärs nichts zu tun. Heiterkeit) Will die Regierung 
atenlos bleiben gegenüber der Boykottiexung von nicht⸗ 
oxganisierten Arbeitern seitens der sozialdemokrati— 
schen Gewerkschaften? Das Vorgehen dieser Organisationen ver⸗ 
rägt sich nicht mit dem Rechtsbewußtsein des Volkes, und in nichts 
dokumentiert g eine derartig niedrige Gesinnung, wie in einem 
solchen Treiben. Die Privatversicherungstassen 
müssen erhalten bleiben, sie leisten vielfach mehr, als es den staat⸗ 
lichen Einrichtungen, wie es das kommende Privatversicherungs⸗ 
5 sein wird, möglich ist. Der Bankbeirakt wäre eine fehr 
ützliche Einrichtung, er könnte das Gewissen der Nation dar— 
tellen und zur richtigen Beurteilung mancher Fragen, wie der 
Emission ausländischer Papiere, beitragen. Ebenso ist die Ein— 
ctzung einer Revisionsinstanz zur Bankkontrolle 
nicht von der Hand zu weisen. Mit den Grundzügen der Politik 
»es Staatssekretärs stimme ich vollständig überein. GRuf bei den 
Zoz.: Kunststückl), Mit verständigen Maßnahmen bin ich stets 
inverstanden gewesen. 
Abg. Dr. Jund (natlib.): In den Ruf, nach einem Gesetz zum 
Schutze der ee stimmen wir nicht ein. Die bestehen— 
en Gesetze genügen. Bexeits Grof Posadowski hat dies im 
Reichstage erxörtert. Freiherr v. Gamp hat wieder auf, die Mil— 
iarden hingewiesen, die für die soziale Fürsorge aufgewendet 
verden. Es ist gerecht, darauf hinzuweisen, daß diese Milliarden 
uicht nur aus den Taschen der Besshenden ftammen, sondern daß 
ie deutschen Arbeiter beinahe die Hälfte dazu beiträgen. Eine 
twas abweichende Stellung nehmen wir auch hinsichtlich der 
Tarifverträge ein. Wir stimmen der Zentrumsresolution, die 
ich mit ihnen beschäftigt, zu. Die Warnung des Staatssekretärs 
or einer überstürzten Gesetzgebung im Tarispertragswesen 
»aßte nicht auf die Bemerkungen des Dy Dr. Pieper. Dieser 
egte dar, daß die eloree —— ie gesetzliche Regelung 
nur vorbereiten solle. Gewiß soll man nicht ohne Not mit einem 
Besetz eingreifen, aber der fortdauernde Hinweis auf die Tarif⸗ 
gerträge hat schon jetzt bewirkt, daß unsere Industrie Schritt für 
Schritt darin nachgefolgt ist, und —— hat das Reichs⸗ 
gericht in einer eeen vom 20. Januar 1910 festgestellt, 
daß an der Klagbarkeit aus dem Tarifvertrag nicht, mehr zu rñt⸗ 
teln 25 In klassischer Weise ist vom Reichsgerickt dargeleqt, 
daß Tarifyerträge keine Zwangskoalitionen sind, sonderny 
azu dienen sollen, dem Kampfe vorzubeugen. Dasselbe Urtenl 
des Reichsgerichts bejaht weiter die Itqae daß micht nur die 
Verbände, sondern die einzelnen Mitglieder durch den Tarif— 
nag gebunden sind, Es sind damit zwei wichtige Fragen 
ohne Eingreifen der R edigt trotzdem bleibt noch 
ein Rest von Fragen übrig. Es ist Aufgabe des Staates dafür zu 
orgen, daß die Vrivatinitiative nicht an formalen Rechtsnormen 
scheitert und Schaden leidet, Die Verleihung der Rechtsfähigkeit 
an die Berufsvereine, die bei den Wahlen 1907 als eine herz⸗ 
bewegende Frage behandelt wurde, darf nicht gänzlich in Ver— 
gessenheit geraten. Daß die Berufsvereine dann mit ihren Ver— 
mögen haften sollen, halte ich nicht für recht und billig. Es be⸗ 
steht das Mißverständnis, daß es sich bei dem Abschluß von 
Tarifverträgen um einen öffentlich rechtlichen Ryang handeln 
olle, einen solchen Wn ern wir absolut nicht. Die Bedeutung 
des Tarifvertrags besteht ja gerade darin, daß er ein Att der 
Zelbsthilfe ist, in Gegensatz zu sozialem Zwang auf anderen Ge— 
vieten. Die Parteien bestreben sich hier, sih von selbst die Hand 
zu reichen, und ihre Beziehungen zu regeln. Unser Zeitlalter 
jeht doch, darauf aus, v wir die aieeee abmildern 
wollen. Und Für diesen Zweck sind die Tarifvertrage eines der 
ornehmsten Mittel. Der Zentrumsantrag bewegt sich in der 
dichtung, daß er den Staat davor bewahren will, daß ihm die 
aurisverträge über den Kopf wachsen. Wir möchten einen 
ristallisationspunkt schaffen für das sich sehr lebhaft entwickelnde 
arifgewohnheitsrecht. Wir möchten darüber hingaus eine För— 
‚erung etwa, durch Aufstellung von Musterverträyen. Wir 
enken auch daran, daß, wenn es eine Zentralstelle gibt, die 
zeteiligten sich darau gewöhnen, in Streitfällen das 
eichsamt des Innern als Einigungsamt anzurufem 
ie könnte ferner dienen als Hinterlegungsftelle für 
Arifverträge, denn wenn diese hinterlegt wer⸗ 
en, so erhalten sie eine gewisse Autoxität. 
Nan könnte auch noch an eine gndere Aufgabe denken. Die Staats- 
ekretäre der Marine und der Post wie der Kriegsminister haben 
misono, gegenüber der Resolution auf Berucksichtigumg solcher Fir⸗ 
nen, die Tarisverträge schreßen, bei Vergebung der Liefernuügen 
rtlärt, daß ein einzelnes Ressort nicht vorgehen könne. Ich habe 
nen Eindruck gehabt, daß da eine Koalition der drei Minster vor— 
ag, um die Sache auf das Reichsamt des Innern abzuwälzen. Die 
Zoraussetzung für das Koalitionsrecht ist ein liberale 
zereins-,und Versammlungsrecht. Wir glauben,eir 
berales Gesetz gemacht zu haben, wenn auch im 812 ein Akt der 
otwehr vorlieat Nher die NAuskührung miß nilch liberöt feän. &
	        
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