Full text: Lübeckische Anzeigen 1911 (1911)

tionaler Entwichlung und bewundernswerter Fortschritte auf allen 
Gebieten menschlichen Wissens und Könnens. Mein liebes Bayern 
nahm an den Errungenschaften dieser Zeit lebhaften mittätigen 
Anteil. Wiit Stolz und Freude ruhen meine Augen auf dem 
Land dem von Jugend auf meine ganze Liebo gehörte, auf 
dem Vollke, dessen Glück und Wohlergehen durch 25 Regierungs⸗ 
jahre all mein Denken und Sorgen war, das mir und meinem 
Hause in altbewährter Liebe und Veue so innig verbunden ist 
Ueberwältigende Beweise dieser Liebe und Treue habe ich in den 
Tagen der Feier meines 90. Geburtstages erfahren. Wohl 
hatte ich prunkvolle Ehrungen und Feste dankend abgelehnt. Das 
Volk hat jedoch in allen Berufskreisen und Gauen unseres lieben 
Vaterlandes, ja auch außerhalb des Landes, meinen Ge— 
burtstag in herzlicher Feier zu seinem Feslttag 
gemacht. Arm und reich, hoch und niedrig, Stadt und Land, 
Körperschaften und Einzelpersonen vereinten sich in dem Be— 
streben, mir auf sinnige Weise Glüdwünsche darzudringen durch 
festliche Veranstaltungen in Schrift und Bild, durch Gedenksteine 
und Anlagen, die meinen Namen tragen werden, und durch 
Stiftungen und Spenden für edle Zwecke. Dank, innigsten Dank 
sage ich allen, die in diesen Tagen meiner gedacht haben. Mit 
besonderem Dank nehme ich die bedeutende Lan⸗ 
desspende an, die mir für wohltätige, gemeimützige Zwede 
adewidmet ist, die ich um so höher anerkenne, als gerade die ver⸗ 
gangenen Jahre mit mannigfachen schweren Heimsuchungen die 
Opferwilligkeit und den Gemeinsinn des Landes in außerordent⸗ 
lichem Maße in Anspruch genommenhaben. Ich habe das Er— 
trägnis der Spende zur Förderung der Jugendfürsorge auf 
den verschiedensten Gebieten, zur Unterstützung bedürstiger Ve⸗ 
teranen aus den Kämpfen, woran unser Vaterland Anteil genom⸗ 
men hat, und anderen wohltätigen Zwecken bestimmt. Von 
Herzen wünsche ich, daß die Gaben im Sinne der Spender reichen 
Segen wirken und stiften mögen. Treu und warm schlägt allen 
mein Herz entgegen, die mich in den vergangenen Tagen hul—⸗ 
digend umstanden, meiner braven Armee, meinen bewährten Be— 
amten, der pflichttreuen Geistlichkeit den Männern und Frauen 
der Arbeit in Kunst und Wissenschaft, Unterricht, Erziehung, 
Industrie, Handel und Gewerbe, Landwirtschaft und allen anderen 
Berufen, sowie der lieben lebensfrohen Jugend, deren Wohl 
mir besonders angelegen ist. Die Crinnerung an die vergangenen 
Tage wird wie ein heller warmer Sonnenschein leuchten auf 
mein Leben, das mir noch beschieden iitr. Dieses Leben wird auch 
künftig in liebevoller Sorge und Atbeit dem Wohl und Frieden 
meines teuren Vaterlandes geweiht bleiben. Der Allmächtige 
halte über ihm seine schirmende und segnende Hand fur alle 
Zeiten“ 
Inland und Ausland. 
Deutsches Reich. 
W. Der Kaiser hörte gestern vormittag im Auswärtigen 
Amt die Vorträge des Reichskanzlers und des Staatssekretärs 
v. Kiderlen-Waechter und später im Schlosse den Vortrag des 
Chess des Zivilkabinetts. — Nach zuverlässiger Meldung stattet 
Kaiser Wilhelm am 24. März auf der Durchreise nach 
Korfu Kaiser Franz Josef einen kurzen Besuch ab 
Reichskanzler und Prinzregent. Das Glücwunschtelegramm, 
das der Reichskanzler an den Prinzregenten richtete, hatte 
jolgenden Wortlaut: Euere königliche Hoheit bitte ich am 
beutigen Tage, an dem Ewy. köonigliche Hoheit mit hellem 
Auge auf neuen schichals reiche Jahrzehntse deutscher Geschichte 
zu rücbliclken, aus tiefstem Herzen die ehrerbietigsten Segens—⸗ 
wünsche darbringen zu dürfen. Die Grüße, die heute ganz 
Deutschland nach Munchen sendet, entspringen nicht nur der 
Ehrfurcht vor dem ehrwürdigen Alter des Seniors 
der deutschen Fürsten und seiner in der Arbeit langer Jahre 
bewmährten Regentenweisheit, sondern gelten auch dem kraft— 
vollen deutschen Manne, der uns allen sich vorbild— 
lich zeigt, wie die innige Liebe zur Heimat und zur Stammes⸗ 
art ihrer Söhne der rechte Boden ist, auf dem die uner—⸗ 
schütterliche Treue gegen das große Vaterland und die gesamte 
Nation erwächst. In tiefster Ekrfurcht Euerer Königlichen 
Hoheit untertänigster Dĩiener von Bethmann⸗-Hollweg. 
Prinz Luitpold erwiderte: Ich danke Ihnen, mein lieber 
Herr von Bethmeinn-Hollweg, aus ganzem Herzen für die Glüchk 
wünsche, womit Sie mich zum heutigen Feste erfreut haben. Mit 
Befriedigung blicke ich auf all das Große zurüch, das ich mil 
dem Werdegang des Deutschen Reiches dank Gottes gnädiger 
Fügung miterlebt habe. Der Zukunft und Wohlfahrt des Reiches 
gelten meine innigsten Wünsche. Gott segne den Kaiser, Gott 
segne das deutsche Volk, das ist der Gedanke, der mich heute an 
meinem Freudentag erfüllt. Ihnen ober und Ihrem Wirken sei 
der Erfolg beschieden, den mein Vertrauen für Sie erwartet. 
Der Modernisteneid. In einem, wie man sagt, aus ka— 
kholischen Kreisen stammenden Artikel der Köln. Ztg. wird 
behauptet, daß bei der Behandlung des Modernisteneides im 
preußischen Abgeordnetenhause der Kern der Frage weder 
von der Regierung noch von den Parteien erörtert worden sei. 
Die Staatsregierung habe wohl nur mit Rüdsicht auf den 
konfessionellen Frieden geglaubt, vorerst von einer Klärung 
der Sachlage absehen zu müssen. Ein sachgemäßes Ultimatum 
werde nicht zu umgehen sein. Es müsse lauten: Anerkennung 
der Gleichberechtigung von Staat und Kirche, Fortsetzung 
der nur auf dieser Grundlage möglichen Vertrags- und Kon— 
kordatsrechte, oder Beibehaltung des Modernisteneides und 
Trennung von Staat und Kirche. 
Dee Nationalliberaben vnd die Reitdestagsstichwahl im 
Kreis Gießen. Der Ausschuß der nationalliberalen Partei 
beschloß mit 13 gegen 5 Etimmen, sür die Reichssstags-Stich- 
wahl zwischen dem Antisemiten und dem Sozialdemokraten 
am 21. März den nationalliberalen Wählern die Stellung⸗ 
nahme freizugeben. (Tel.) 
Die Aushebung der geiftlichen Orisschulinspeltion. Im 
preußischen Abgeordnetenhause iit ein Antrag des Abgeord— 
neten Hoff, unterstützt von sämtlichen Mitgliedern der Fort⸗ 
schrittlichen Volkspartei, eingegangen: Das Haus der 
Abgeordneten wolle beschließen, die Staatsregierung aufzufor— 
dern die nolwendigen Maßnahmen zu treffen, um die geist⸗- 
liche Ortsschulinspettion aufzuheben und zweitens 
mit tunlichster Beschseunigung die nebenamtliche Kreisschulin— 
speltion durch eine hauptamtliche zu ersetzen und hierfür im Dienste 
der Volksschule erfahrene Männer zu berufen. (Tel.) 
Wi. Gründung eines Vereins deutscher Zeitungsverleger. 
Kannover, 13. März. Gestern fand hier eine sehr gut 
besuchte Versammlung der nordvendeutschen Zeitungsver—⸗ 
leger statt, in welcher über die Gründung einer oder zweier 
Zeitungsverlegervereine für das nordwestliche Deutschland ver— 
handelt werden sollte. Einstimmig wurde beschlossen, einen Ver⸗ 
ein zu gründen. Als Vorort wurde Hannover bestimmt. Dem 
neuen Verein traten sofort 40 Witglieder bei. Nach Feststel⸗ 
lung der Satzungen des Vereins wurden in ausführlicher Weise 
Fragen erörtert. die mit danu der Tarifveriode im Buch— 
yrudergewerbe zusammenhängen. Der Zeitungsverlegerverein 
Nordwestdeutschland ist ein Kreisverein des Vereins Deutscher 
Zzeitungsverleger, dessen Organisation sich bis auf wenige Be— 
zirke jetzt auf ganz Deutschland erstreckt. Zum Vorsitzenden des 
ieuen Vereins ist Dr. Max Jänecde (Hannoverscher Cqurier) 
gewählt. (Tel.) 
„die große Gefahr“. 
V Lübeck, 14. März. 
Die am Montag nachmittag ron konservativer Seite im 
Konzerthaus Fünfhausen veranstaltete politische Versammlung war 
von etwa 150 Damen und Herren besucht. Herr Hauptmann a. D. 
d. Huth⸗Krempelsdorf leitete die Versammlung ein mit einer 
lurzen Ansprache, in welcher er auf den in liberalen, vornehmlich 
iber in freisinnigen Kreisen, recht merklich in die Erscheinung treten⸗ 
den Zug nach links und der damit für diese sich jetzt noch national 
iennenden Kreise verbundenen Gefahr hinwies, daß in der von 
hnen heute noch geführten Fahne schwarz-weiß-rot die beiden 
Astgenannten Farben allmählich verblassen und schließlich ganz 
aerschwinden würden. Und dieser in dem Zuge nach links liegen— 
en großen Gefahr für das deutsche Vaterland wollten die Kon— 
ervativen aus ihrer Liebe zu Kaiser und Reich heraus entgegen⸗ 
reten. Mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den 
Kaiser eröffnete Redner dann die Versammlung und erteilte 
Herrn Generalsekretär R. Kunze-Berlin das Wort zu 
einem Vortrage über „Die große Gefahr“, in welchem er 
etwa folgendes ausführte: Der Aufmarsch der Parteien zur 
Wahleines neuen Reichstages sei bereits in vollem 
Gange, und nach den Vorbereitungen zu urteilen, werde der 
Kampfumdie Mandate einsehrscharfer werden. 
Woher komme es nun, daß die Parteiltonstellation gegenwärtig 
ine wesentlich andere sei als 19072 Von der Reichsfinanz— 
esorm, über die in weitesten Volkskreisen trotz unzähliger 
steden und Publikationen immer noch große Unklarheit herrsche 
und zwechs Irreführung der Wähler von gewissen Seiten ge⸗— 
flissentlich unterhalten werde. Der Kapitalismus versucht 
in diesem Kampfe, Rechte des Staates an sich zu reißen, ohne 
ntsprechende Pflichten übernehmen zu wollen, Lasten von sich 
abzuwälzen und auf andere Schultern zu legen, und brause auf, 
wenn andere Mächie sich dem entgegenstellten. Alle in dem Streit 
um die Erbschaftssteuer gebrauchten Schlagworte „Be 
neuerung der Gatten und Kinder“, „schwerste Stunde“, „Erhal 
tung des ungeteilten Familienvermögens“ usw. seien liberale 
Erfindungen und nur von den Konservativen übernommen wor— 
den. Mit den Liberalen sei auch FJürst Bülow zunächst entschieden 
zegen die Erbschaftssteuer gewesen, weil sie dem mobilen Kapital 
die größte Möglichkeit biete, sich der Steuer zu entziehen. Als 
iber dann nach konservativen Vorschlägen an die Stelle der Erb⸗ 
chaftssteuer die Börsensteuer, die Koötierungssteuer, 
zie Talonsteuer, also Steuern, die das mobile Kapital 
ælasten, habe treten sollen, hätten die Liberalen diese Steuern 
ibgelehrt. Trotzdem aber werde von diesen immer wieder wieder 
ie Unwahrheit verbreitet, die Konservativen hätten das mo— 
zile Kapital nicht besteuern wollen. Genau so liege es mit den 
ndirekten Steuern. Die Verteuerung des Kaffees und 
er Streichhölzer, vorgeschlagen von den Liberalen, würde 
iuch eingetreten sein, wenn die Erbschaftssteuer nicht gefallen 
näre, also seien die Konservativen leineswegs schuld an dieser 
Berteuerüung. Wer dvagegen das mobile Kapital nicht habe 
lesteuern wollen, das seien die Liberalen gewesen, indem sie 
»ie Steuern auf Inserate, Plakate, elektrisches 
dicht und Wein, welche die Konservativen vorgeschlagen 
ätten, also Steuern, die nur die reichen Leute und großen Ge— 
chäfte und nicht der Mittelstand und der Arbeiter zu tragen 
zehabt hätten, ablehnten. Ebenso Lätten sich die Liberalen bei 
»er Kohlenausfuhr und Mühlenumsatzsteuer ver— 
alten. Der Vorwurf des Liberalismus gegen die Konser. 
„ativen, sie hätten den Fürsten Bülow gestürzt, sei un 
serechtigt. Es liege der Beweis vor, daß der Fürit selbst. seiner 
zturz herbeigeführt habe. Aber wenn auch die Konservativen 
dirklich die Schuldigen wären, hätten die Liberalen kein Recht, 
ie Konservativen deswegen zu steinigen, denn die Liberalen 
zätten bereits in den bekannten Novembertagen den Sturz des 
Jürsten Bülow gefordert. Auch den scc warz⸗blauen Blod 
nache man von liberaler Seite den Konservativen zum Vorwurf 
ergesse aber dabei, wie oft schon die Liberalen mit dem Zen 
rum paktiert hätten. Und nun gar erst der Freisinn. Er 
nache sich nicht das geringste Gewrissen daraus, die Volksmassen 
rre zu führen und strupellos auf die Vergeßlichkeit der Wähler 
— 
nit dem Zentrum und den Sozialdemokraten dem Alt-Reichs- 
anzler Fürsten Bismarck die Ehrung zu seinem 80. Geburts— 
ag durch den Reichstag verweigert hätte, der Freisinn sei 
s gewesen, der den ersten Zentrumspräsidenten des Reichstages 
abe wählen helfen und dafür vom Zentrum den Vize— 
räsidentenposten in Empfang genommen habe. 
Worin bestehe nun die große Gefahr für das deutsche Volk? 
Darin. daß der Kapitalismus Auswüchse gezeitigt habe, welche 
ie Wohlfahrt des Volkes zu untergraben und damit seinen Un— 
ergang herbeizusühren geeignet seien. Tie liberale Gewerbe— 
o»rdnung habe viele tausende selbiständige Existenzen vernichtet 
und den Großbetrieben die Wege geebnet. Mit Recht 
habe darum Fürst Bismarck gesagt, der Liberalismus sei der 
Borläufer der Sozialdemokratie, denn da der Mittelstand und 
die Arbeiter täglich sähen, wie der Staat die Interessen des 
Kapitals schütze, ihre aber vernachlässige, sei es nur natürlich, 
daß man in weiten Volkskreisen zu der Auffassung gelange, 
der Staat ersülle seinen Zwed, alle Volksgenossen, und vornehm— 
iich die Schwachen zu schützen, nicht mehr und habe deswegen 
eine Berechtigung mehr. Der Liberauüsmus und der Kapitalismus 
eien darum eine viel gröhere Gefahr für Deutschland, als die 
Sozialdemokratie. 
Die Konservativen seien indessen leine Feinde des Kapitals 
ils solches; sie erkennten vielmehr an, daß es großkapitalistische 
kischeinungsformen gebe, die notwendig seien, weil sie Werte 
chafften, die sonst nicht erzeugt verden könnten. Gekämpft 
verde seilens derKonservativen nur gegen die durch den Kapitalis— 
nus geförderte materialistische Weltauffassung, begünstigte Ge— 
uußsucht und Untergrabung der sittlichen Kraft des Volles. 
Soweit durch redliche, wertschaffende Arbeit ein Gewinn erzielt 
rerde, sei er durchaus berechtigt. Vekänmpft werde aber seitens 
»er Konservativen Rer durch nichts begründete Spekula- 
ionsgewinn, narientlich dann, wenn er aus den Taschen 
zerer fließe, die nicht alle würden auf Erden. GSehr richtig!) 
dieser Spekulationsgewinn, meistens eingeheimst durch die Groß— 
zanken bezw. ihre Allionäre, belasle das deulsche Volk mit 
jährlich 8000 000 000 Mi und hänge wie ein Bleillumpen an 
alle ehrliche Arbeit. Das werde aber nicht besser, sondern eher 
schlimmer, wenn ein Reichstag mit einer liberalen Mehrheit 
ind damit eine caprivische Aera wiederkehre. Allerdings, die—⸗ 
enigen. die von anderer Leute Arbeit lehten. die morgens schon 
vüßten, was sie abends verdient haben werden, könnten du 
Entwickelung der Dinge an sich herankommen lassen, nicht aber 
alle diejenigen, die tagtäglich den Kampf ums Dasein aus— 
neue aufnehmen mühßten. 
Was habe denn nun der Liberalismus dem Volke wirklich 
gutes gebracht? Die sozialen Fürsorgegesetze? Habe nicht 
der Freisinn gegen die Gesetze gestimmt? ((Lebhafte Un 
ruhe im Saal. Der Leiter der Versammlung ersucht energisch 
um Ruhe, andernfalls er von seinem Hausrecht Gebrauch 
nachen und die Ruhestörer aus dem Saale weisen werde. 
debhafter Beifall. Die Freisinnigen hätten, so fuhr Herr 
Generalsekretär Kunze dann fort, hätten mit den Sozialdemo—⸗ 
raten und dem Zentrum dem Staate das Branntwein— 
Monopol, das ihm an 20000 000 Mäeingebracht haben 
vürde, perweigert, die Freisinnigen hätten sich in Preußen der 
Berstaatlichung der Eisenbahinen widersetzt und da— 
nit die privaten Interessen der Aktionäre und nicht den Vorteil 
es Staates vertreten. Ebenso hätten die Freisinnigen das 
Tabaksmonopol aufs äußerste bekämpft und auch schließ— 
ich zu Fall gebracht. Hätte Bismarck dieses Monopol durch— 
eten und damit dem Reiche die benötigten Mittel geben 
'önnen, wäre Deutschland nie in die Schuldenwirtschaft hin— 
»ingeraien und hätte nie eine Finanzreform nötig gehabt. 
Aus allem diesem solge, daß, wenn der neue Reichstag 
ine linksliberale Färbung erhalte, an den Schutzzöllen 
gerüttelt und damit der Wohlstand des Volkes und dieses 
elbst gefährdet werden würde. Es werde immer nach billi— 
zem Fleisch und Brot geschrien. Als aber beides vorhanden 
zewesen sei, seien unzählige Existenzen der Industrie, des 
handwerks und der Landwirtschaft zugrunde gegangen und 
zie Ersahrung habe gelehrt, daß ohne eine blühende Landwirt-— 
chaft, ohne einen aufnahmefähigen Inlandsmarkt der Wohl— 
stand des deutschen Volkes nicht gedeihen könne. Darum 
zelte es, die diesem durch den Linksliberalismus und den Aus— 
vüchsen des Kapitalismus drohenden mannigfachen schweren 
und großen Gefahren dem deutschen Volke vor Augen zu 
führen und zu bekämpfen und das habe sich die konservative 
Partei zur Aufgabe gestellt. (Lebhafter, langanhaltender 
Beifall.) 
Von der den Gegnern angebotenen freien Aussprache wurde 
setin Gebrauch gemacht. Nachdem noch ein auswärtiger Herr 
owie der Leiter der Ver,sammlung auf die große Wesensver— 
vandtschaft des Freisinns mit der Sozialdemokratie 
zingewiesen und ersterer auch seine Verwunderung 
darüber ausgesprochen hatte, daß die Veamten 
ind vor alem die Lehrer den Freisinnigen Ge— 
olgschaft leisteten, schloß Herr Hauptmann v. Huth die Ver— 
qmmlung mit einem Hoch auf das deutsche Vaterland. 
Neueste Nachrichten und Telegramme. 
w. Danzig, 18. März. Der Kaiser sandte dem Gre— 
nadier-Regiment Ksnig Friedrich J. (4. estpreußisches Nr. 5) 
anläßlich seines 220jährigen Bestehens solzendes Telezramm: 
Dem Grenadier-Regiment König Friedrich J. entbiete ich zum 
heutigen Stiftungsfeste meinen königlichen Gruß. Ich freue 
mich, daß mein jungster Sohn kurz nach seiner Einstellung in 
die Armee die Gelegenheit hatte, einen so stolzen Ehrentag 
beim Regiment verleben zu können. Mösge das Regiment 
immer bestrebt sein, durch Pflichttreue und Hingabe an den 
königlichen Dienst seiner ruhmreichen Vergangenneii auch ser— 
nerhin Ehre zu machen. 
Wt. Berlin, 13. März. Zum Oberpräsidenten 
Westfalens wurde an Stelle des verstorbenen Staats— 
ministers Frhrnu. v. d. Recke Reaierungsrat Prinz von Ra— 
tibor und Corvey in Koblenz und zum Regierungs— 
präsidenten von Köslin an Steile des in den Ruhe— 
stand tretenden Frhrn. v. Funck Geh. Oberregierungsrai, Vor— 
tragender Rat im Ministerium des Innern. Dr. iur. Drews 
Berlin ernannt. 
W. Magdeburg, 13. März. Der Gerichtshoöf ver urteilte 
nitelius zu 14 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverluit. 
W. Petersbura. 13. März. Der Minister des Aeußern 
Ssasonow war heute nacht unruhiger wie geltern, es stellte 
ch Husten ein. Die Temperatur beträgt 38,6 Grad, das 
Allgemeinbesinden ist unverändert. 
Wit. Tanger, 13. März. Ein Kurier, der am 6. März aus 
Fez abging, also früher als die Nachrichten, welche am Frei— 
tag hier eintrafen, meldet, daß die Streitträfte des Machsens 
sich auf 500 Mann beliefen. In der letzten Nacht tauschten 
die Beraber vor den Toren von Fez mit einer Woche Flinten— 
chüsse aus. 
Wit. Newnort, 13. März. Nach einem Telegramm aus 
El Paso herrschen in Nordmexiko panikartiige Zu,— 
dände. Die Infurgenten in den Staaten Chihuahua und 
Sonora zerstörten die Eisenbahnen und Telegraphenleitungen 
und belagern zahlreiche Städte, in denen sich tausende von 
Frauen und Kindern ohne Nahrung in hilfloser Lage be⸗ 
nden. Nach einer Meldung, anscheinend aus zuverlässiger 
Quelle, wurden im letzten Kampfe bei Casas Grandes fünfzehn 
Amerikaner getötet und siebzehn gefangen genommen. Tele— 
zramme aus der Haupistadt Mexiko geben Gerüchte wieder, 
ponach die Landespolizei am Sonnabend hundertzwanzig In— 
urgenten bei San Bartolito aufrieb, von denen fünfzig ge— 
fallen sind. Die Lage in Chihuahua ist die denkbar trau— 
rigste, zahlreiche Industrien stehen stell. 
W. Newyork, 13. März. Der Staatssekretär des Kriegs er— 
klärie einem Vertreter der Aßsociated Preß, er glaube nicht, daß die 
amerikonischen Truppen in Mexiko einrücken. Dieser Fall würde nur 
eintreten, falls es sich erweise, dak Meriko im Schutze des ausländi⸗ 
ichen Eigentums nachläfsig werde. 
Deutscher Reichstag 
W. Berlin, 13. März. 
Die Weiterberatung des Eiats wird beim Etat de— 
Reichsamts des Innern forftgesetzt. 
Vor Eintritt in die Tagesordnung erklärt 
Präsident Graf Schwerin-Lüwinß: Prinzregent Luit— 
pold, der Verweser des Königreichs Bayern, der ehrwürdige 
Nestor der deutschen Fürsten, hat gestern sein 80. Lebensjahr 
vollendet. Mit dem gesamten deuischen Volke, wamentlich dem 
hayerischen, wird der deutsche Reichssstag den herzlichsten An⸗ 
eil an diesem seltenen Fest genommen haben. Ich habe mir 
deshalb gestattet, an ihn namens des ReibPretaçes solaendes 
Telegramm zu richten: 
Eure Königliche Hoheit wollen zu der schönen Feier 
der Beendigung des 90. Lebensjahres die ehrsurchtsvollsten 
Glück⸗ und Segenswünsche des deuischen Reichstages huldvollst 
eiuntgegennelmen. Möge Gott der Herr Ihrem Lebensabe:id 
mie hissher auch ferner reichstes Glück und Seden aeben
	        
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