LÜBECKISCHE BLATTER
HERAUSGEG EBEN VON DER GESELLSCHAFT ZUR BEFORDERUNG GEMEINNUTZIGER TATIGKEIT
SCHRIFTLEITER: DR. PHIL. EBERHARD GROENEWOLD
L ü B E CK, D E N ®. JU LI 1977
EIN H U N D ER TSI E B E N U N DO REI SS 1 G STE R JA HR G A N G . NU M MER 14
500 Jahre Holstentor
Von Johannes Habich
Die folgenden Ausführungen machte Dr. Jo- morphose der ausgedienten, hinter den späteren
tunes . LL VRG. dtitzthst- Wallbekestigungen drei Jahrhunderte lang verbor-
am 17. Juni 1977, anläßlich de, f lUse ! ziel. genen und fast vergessenen Wehranlage der Spät-
Holstentor-Ausstellung im SSt.-Annen-Mu- gotik zum Gegenstand des modernen Denkmal-
seum. Sie sind zugleich auch ein Beitrag zur kultes und darüber hinaus zum Opfer verschiede-
heutlssn Vizuuszioh um die Gestaltung des per Ideologien und merkantiler Verwertung als
lztestorplatzrs Symbol der Warenwerbung in seinem Ihnen sicher
Nur einmal wurde das wehrhafte Holstentor um- bekannten »Versuch das Holstentor im Geiste etwas
kämpft ~ freilich nicht in einem kriegerischen anzuheben“ 1976 materialreich und amüsant ge-
Konllikt, sondern in einer wirtschafts- und kultur- schildert. Diese Ausstellung macht die Metamor-
politischen Auseinandersetzung. Das war ~ Ihnen Phose, die unsere heutige Sehweise stark mitbe-
wohlbekannt - in den 1850er Jahren, als es darum stimmt, unmittelbar anschaulich und nimmt darüber
ging, die alten westlichen Befkestigungsanlagen der hinaus das Bauwerk selbst wieder schärfer in den
Stadt für den Bau der ersten Eisenbahn abzu- Blick.
tragen, durch den die Stadt nach Jahren schwerster Eine solche Betrachtung ist im Augenblick aktuell,
wirtschaftlicher Depression infolge der napoleoni- da es gerade wieder darum geht, das Vorfeld der
schen Zeit einen neuen Aufschwung nehmen sollte. Altstadt im Bereich des Holstentores neu zu ge-
Der Streit wurde nur durch Einwirkung von außen, stalten, wodurch zwar das Tor materiell nicht be-
vor allem des preußischen Königs Friedrich Wil- rührt wird, aber in seiner Aussagemöglichkeit we-
helm IV. mit knapper Not zugunsten der Erhaltung sentlich beeinflußt werden kann.
des Tores entschieden. Die Argumentation derer, die 1 § ; .
den Abbruch forderten in diesem ersten spektaku- Ich möchte unter diesem Gesichtspunkt zur Ein-
lären denkmalpflegerischen Konflikt in Deutsch- stimmung in die Ausstellung, angeregt durch das
land, war bereits die klassische: Rücksichten auf den hier vor allem von Harmen Thieß zusammen.
Verkehr: hier vom neuen Bahnhof zur Stadt, zu setragene und aufbereitete Material, em HPagr
großer Kostenaufwand für die Wiederherstelluug Hauptabschnitte in der Bedeutungsgeschichte des
des lange vernachlässigten Bauwerks. ~ Die Fron. Tores kurz beleuchten.
ten verliefen allerdings anders als heute üblich: Das Holstentor wirkt heute vertraut und fremd
Es war eine Mehrheit von Bürgern, die sich zu zugleich. Vertraut ist es uns als prägnantes Zeichen
einer „Initiative“ für den Abbruch vereinigte, wäh- .— nicht nur im Bereich der Werbung -, sondern
rend die höchste Stadtvertretung, der Senat auch im städtebaulichen Zusammenhang: als der
> lange gegen die Bürgerschaft , für die Erhaltung markanteste Orientierungspunkt am heutigen
stimmte. Hauptzugang der Altstadt, wo es sich außerdem mit
eför- Das Holstentor ging aus dieser Auseinanderset- den Salzspeichern und den Türmen von St. Marien
sind. zung als etwas Neues hervor: als Denkmal von und St. Petri zu einem einzigartigen „Superzeichen“
hrt. nationaler Bedeutung. Jonas Geist hat die Meta- verbindet, das „Lübeck, Metropole des Mittelalters“
Uten.
z4 54 Das nächste Heft der „Lübeckischen Blätter“ (Nr. 15/16) erscheint nach der Sommerpause am
3. September 1977. Manuskripte an den Schriftleiter bitte bis 26. August 1977.
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