LU BECKISCHE BLATTER
ZEITSCHRIFT DER GESELLSCHAFT ZUR BEFORDERUNG GEMEINNUTZIGER TATIGKEIT
LÜBECK, DEN 8. NO VEMBER 1953
NEUN UN D ACHT ZI G S T ER JAHR G ANG / NUMMER 16
Der Deutsche Städtetag sprach über:
Schule, Staat und Stadt
Martin Luther schrieb 1524 an die Ratsherren Situation steht: Durch verschiedene staatliche Experi-
aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche mente ist eine Unruhe in den Aufbau des Schulwesens
Schulen aufrichten und erhalten sollten. Es ist ber- gekommen. Doch scheint sich der Elternwille durch-
zeichnend, daß sich Luther an die Städte und nicht. zusetzen. Wir können feststellen, daß in den ver-
an die Landesherren wandte. Schon damals war klar, gleichbaren fünften bis achten Schuljahren eine be-
daß sich die Städte aus ihrem fortschrittlichen und achtenswerte Verschiebung stattgefunden hat: Fast
sozialen Geist heraus ständig um die Besserung der die Hälfte der Schüler befindet sich in den weiter-
Lebensverhältnisse bemühten. Denn sie sind berufen, führenden Schulen (Mittelschule und Oberschule),
die Daseinsbedingungen ihrer Bürger durch praktische etwas mehr als die Hälfte besucht in diesen Jahren
Maßnahmen Tag für Tag zu fördern, während sich der die Volksschule. Daraus werden die Konsequenzen zu
Staat im wesentlichen auf die grundsätzliche Ordnung ziehen sein, auch im Hinblick auf die Gestaltung der
und auf die Aufsichtstätigkeit beschränkt. Grundschule. Um unseres freiheitlich-demokratischen
Der Mensch lebt im täglichen Leben in der Familie, und sozialen Rechtsstaates willen muß die staats-
in seinem Beruf, in seinen Vereinigungen — und was bürgerliche Erziehung für den gesamten Unterricht
das gemeinschaftliche Leben anbelangt + in seiner an Bedeutung gewinnen. Die Raumnot, auch die
Gemeinde. Hier kann er unmittelbaren Einfluß auf Lehrernot (an den Volksschulen kann nur 90 % des
die Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten erforderlichen Unterrichts erteilt werden) sind in den
nehmen, hier wirken sich alle Anordnungen, Ein- vergangenen Jahren mit gutem Erfolg bekämpft
richtungen und Leistungen seines Staates und seiner worden. Die Lage aber ist, wie alle beteiligten Eltern
Gemeinde unmittelbar aus. Daher ist die Bestim- wissen, noch sehr bedauerlich: Die Kinder haben
mung unseres Grundgesetzes riehtig, daß alle Angele- keine geregelten Schulzeiten, der Unterricht wird oft
genheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der nachmittags bis in die Abendstunden abgehalten.
Gesetze in eigener Verantwortung der Gemeinden zu Die Mütter müssen an manchen Tagen zu verschiedenen
regeln und zu erledigen sind. Sie ist zweckmäßig, Zeiten das Essen für ihre Kinder bereiten. In Lübeck
uud sie beruht auf geschichtlicher Entwicklung fehlen noch etwa 350 Schulräume, um einen geregelten
und Erfahrung. Der Reichsfreiherr vom Stein hat Unterricht durchzuführen. Diese Fragen muß die Ge-
gerade aus diesen Erwägungen heraus die Selbstver- meinde um ihrer Kinder willen lösen; der Staat kann
waltung der Bürger in ihren Gemeinden manifestiert. unterstützen, aber nieht unmittelbar Abhilfe schaffen.
Die Erziehung unserer Jugend dureh unsere Schulen Angesichts der Verdienste der Städte in den ver-
wird daher als eine der wichtigsten Aufgaben seit gangenen Zeiten und in den schweren Jahren nach
alters her durch die deutschen Städte mit Liebe und 1945 — auch in Lübeck ist viel Günstiges für die
Opfern gefördert. Sie richteten die städtischen Schul- Schulverhältnisse und den Unterricht geschaffen
deputationen ein, sie förderten die Ausbildung im worden ~ empfinden es die Städte als ungerecht und
den naturwissenschaftlichen Fächern, der Münchener nicht zweckmäbig, wenn jetzt von den Ländern
Schulrat Kerschensteiner verhalf vor etwa 50 Jahren Schulorganisationsgesetze — übrigens mit erheblicher
dem Berufsschulwesen zum Durchbruch, der Mann- Rechtszersplitterummg — erörtert werden, um den
heimer Stadtschulrat Anton Sickinger gründete die Einfluß der Gemeinden zu verringern und die Schulen
erste Hilfsschule. Die Städte schufen das Mittelschul- noch mehr in unmittelbare staatliche Regie zu über-
wesen. Die Gezutdhoits flege Schulzahnkliniken, nehmen. Aus den obigen grundsätzlichen . Ausfüh-
Vclu.llandheime, . Kinder pris. Kinderhorte, Frein rungen und aus der Darstellung der tatsächlichen
lufterziehung SVchülerselbstverwaltung, Arbeitsunter- Hsistpvgtn der Städte ergiht E p. :
j her hulspeisungen den Ländern erwogene gesetz ;
fett Leys teezittuns s e Sie fußt noch auf der alten Vorstellung des Allge-
word Die k alen Bemühungen um das meinen Preußischen Landrechts aus dem achtzehnten
Bild Lv: ' un vom Staate gestellten Forde- Jahrhundert, die die Schule als „Veranstaltung des
. Pugeroson B u R qu Staates‘ auffaßt. Selbstverständlich bestreitet keine
Hs ". g. f richti vom Deutschen Städtetag. Stadt dem Staate das Recht zur Lenkung und Auf-
üis sts s! rr. LU “: Hauptversammlung im z Fes Votertichteweens. the. ie ztzate wüzte
ö al da die Schule a ie tellung der staatlichen Lehrer
herterbe: 162 tu t]... L'. und schwierigen nehmen können. An städtischen Schulen muß der
E. §
19.5