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ZEITSCHRIFT DER GESELLSCHAFT ZUR BEFORDERUNG GEMEINNUTZIGER TATIGKEIT
LÜBECK, DEN 6. SE P T EM BER 1953
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Ñ 50 Jahre Beobachtung des Travemünder und des Brodtener Ufers
In „Die Entstehung des Priwall und die Geschichte deur wollte um 9 Uhr mit seinem Boot die Familie
der Travemündung“ (Lüb. Blätter v. 2. April 1950, Dose holen. Dieser saß mit seiner Frau in der Küche
S. 84) erwähnt Dr. Spethmann einen Bericht von oben auf dem Tisch, aber sie wollten noch nicht
Oberbaudirektor Rehder über die Vertiefung der weichen; ob sie dort die Flut überstanden haben,
Trave auf 7,50 m Wassertiefe. Die Ausführung der weiß ich nicht. Am Nachmittag sank das Wasser.
Arbeiten sollte ich unter Aufsicht von Rehder über- Herr Kröger hatte sein Großvieh nach der höchsten
nehmen; er kannte mich vom Kanalbau her. So Stelle des Priwalls getrieben und seine Familie und
kam ich am 2. Februar 1900 wieder nach Lübeck, das Kleinvieh auf die erste Etage gebracht, gab aber
habe dienstlich bis Ende 1932 in der Wasserbau- einen Flintenschuß als Alarmzeichen aus dem Fenster
abteilung gearbeitet, die weitere Vertiefung der Trave ab. Als die Fischer mit dem Boot hinüberkamen, bat
auf 8 m bis Travemünde, 8,5 m im Hafen von Trave- er sie, zwei fette Schweine im Boot zu Schlachter Lohff
münde und 9 m draußen geleitet und habe heute meine zu bringen. Die Biester konnten das Maul nicht über
Beobachtungen noch nicht eingestellt. Wasser halten, wollten aber auch nicht die Treppe
Zuerst sei einiges über den Priwall gesagt. Ich bin hinauf zur 1. Etage. So sind sie trotz der Überschwem-
einer der wenigen, die diese Halbinsel noch in ihrem mung noch einesanständigen Schweinetodes gestorben.
Naturzustand und auch überflutet gesehen haben und Ich hatte genug mit meinem Baggerpark zu tun und
derjenige, der am meisten ihre Höhe und Form ger war froh, als ich die Fahrzeuge nachmittags im Silk,
ändert hat. In der Topographie von Behrens 1829 in der windgeschützten Bucht am Westufer der Trave
heißt es: ,„Priwall, Priwärder, auch Priwalk, Pryval, gleich oberhalb Stülperhuk, beisammen hatte. Eine
eine Halbinsel, welche dureh Alluvion entstanden ist. leere Schute war uns dabei doch noch entwichen und
Stadteigentum, Areal 60 000 []-Ruthen (etwa 126 ha). saß oben auf den Teschower Wiesen. Wir konnten
Fünf Einwohner, ein Anbauer mit einigen Ländereien. nicht einmal die Besatzung bergen, sie mußte durch
Über den Priwall führt eine Nebenstraße ins Mecklen- das Wasser waten und zu Fuß über Schlutup nach
burgische. Fähre für Wagen usw. über die Trave. Hause pilgern. Glücklicherweise waren damals die
Die Sterilität des Bodens hat bisher der Cultur der- Russen noch nicht da. Aber für uns Lübecker waren
selben unühberwindliche Hindernisse in den Weg die Mecklenburger auch keine befreundete Macht und
gelegt.“ Ich glaube 1900 waren die Verhältnisse besonders auf Strandgut erpicht. Bevor sie aber
wenig anders als 1829. Damals waren meines Wissens etwas ahnten, hatten wir nach Nenjahr die Schute
zwei Familien da. Der alte Vater Dose mit seiner schon wieder zu Wasser.
Frau in dem Häuschen an der Mittelfähre bediente die Was sagt nun Rehder in der Erläuterung zu der
Öllampen der Richtfeuer auf dem Priwall, und an der Travevertiefung auf 7,50 m zu der von ihm vorge-
Wagenfähre lag eine Land- und Gastwirtschaft von ein sehenen Aufhöhung des Priwalls mit Baggerboden ?
nem Mannenamens Kröger. Pastor Aereboe kam später. „„Als nicht unwichtige Nebenerfolge der Priwallauf-
.: Am 31. Dezember 1904 war die größte Sturmflut, höhung sind erstens der für das Priwallwäldchen ge-
die ich erlebt habe. Das Wasser stieg auf 2,18 m vwonnene Schutz und zweitens die Bebauungsfähigkeit
über N. N. – Das dreißigjährige Mittel der Hoch- des Priwallstrandes zu verzeichnen. Solange die
wasser ist + 1,22 m. Rehder nannte hochwasserfrei Fluten quer über die Halbinsel hinweggehen, kann
eine Höhe von + 2,35 m = der Höhe der Kaimauern von einer Strandbebauung ernstlich nieht die Rede
der Wallhalbinsel. Ich habe nur zwei Sturmfluten über sein. Sobald das Land aber durch Aufhöhung gegen
2 m erlebt, die vom 31. 12. 1904 und die vom 30. 12. die Querüberströmung gesichert ist, besteht die Mög-
1913 mit + 2,10 m. Die Höhe von +3,18m im Jahre lichkeit, hier ebenfalls eine Strandpromenade herzu-
1872 kommt noch nicht alle 200 Jahre vor. - Morgens richten, welche den Vorzug eines ganz vorzüglichen
gegen 9 Uhr stellte die Liibeck-Eutiner Bahn die Strandes haben und deshalb die Neigung zum Ausbau
Fahrten nach EutinFKiel und Travemünde ein, weil hierselbst zweifelsohne erhöhen wird. Gutes Trink-
die Gleise über den Holzlagerplätzen (der Bahnhof war wasser ist ebenfalls auf dem Priwall erbohrt. Sicher
noch nicht verlegt) unter Wasser standen. Der Pri- ist daher die Zeit nicht fern, wo Privatunternehmer
wall war f soweit man ihn von der Vorderreihe über- bereit sind, die fragliche Bebauung nebst Strandprome-
sehen konnte + ganz überflutet. Der Lotsenkomman- nade für eigene Rechnung zu verwirklichen.“
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